Das geheimnisvolle Leben der Babys: Der Film

Babys – gestern ging ich schnell mal in den seit kurzem angelaufenen Film des französischen Regisseurs Thomas Balmès.

Der Film ist ein Dokumentation mit vier Hauptdarstellern, die nicht sprechen – noch nicht. Er begleitet vier Babys in vier verschiedenen Weltgegenden von ihren ersten Momenten an.

Nun ist es ja grundsätzlich so, dass Kinder der Erwachsenenwelt einen Spiegel vorhalten, manchmal sogar einen grotesken.

In der Art, wie wir Erwachsene  Babys vom ersten Augenblick an behandeln, wird deutlich, wer wir selbst eigentlich sind, wie wir die Welt sehen, was wir glauben zu wissen von der Welt und was wir meinen, an die Kinder weitergeben zu müssen.

Ponijao, Bayar, Mari und Hattie aus Namibia, der Mongolei, Japan und San Francisco haben in der Kamera eine unauffällige Begleiterin, sie schaltet sich nie ein. Sie nimmt aber konsequent die Perspektive der Winzlinge ein: Bodenperspektive, weite Horizonte … Irgendwie erinnerte mich der Dokumentarfilm in diesem Punkt an den Film „Mikrokosmos – Das Volk der Gräser“.  Auch darin werden wir mit den Geheimnissen einer uns nur scheinbar vertrauten Welt der Insekten bekannt gemacht, die in einigen Sequenzen wie vom anderen Stern scheint.

Der Film ist konsequent entschleunigt und so gerät alles zu einem bedeutsamen Puzzleteilchen, das er, von Kontinent zu Kontinent springend, zusammensetzt, bewusst aneinander reiht und ordnet und dadurch etwas im Inneren des Betrachters bewirkt, das noch lange nachwirken kann.

Der Film fäng mit einer so offensichtlichen Aussage an, wie den Bildern aus der Geburtsklinik in San Francisco, wo dem Neugeborene an allen vier Gliedmaßen winzige Schläuche fixiert sind, die zu Apparaten und Maschinen führen.

Anhand des Themas „Tiere“ wird ein ganzes Weltbild deutlich. In Namibia und der Mongolei ist die Welt noch weitgehend unmittelbar mit allen Sinn erfassbar. Man sieht die Winzlinge in unfassbar komischen Situationen, die vermutlich wiederum nur ein Betrachter mit westlichen Augen als bedeutsam, komisch oder gar gefährlich ansehen würde. In Japan findet alles hinter einer Glasscheibe in einem Zoo statt. In San Francisco hat das Baby der Hochschullehrerin bereits eine stattliche Bibliothek, aus der es von Anfang an allerlei Instruktionen und Informationen erhält.

Man fragt sich auch, ob nicht bei den mongolischen Babys  Mut und Charakterstärke von Anfang an dadurch gefördert werden, dass sie relativ viel sich selbst (aber nicht allein) überlassen sind, auch in westlichen Eltern unglaublich gefährlich erscheinenden Situationen, auf einer Lastwagenladefläche oder nackt auf einer Eisentonne mit scharfem Rand. Es erscheint wie ein kleines Wunder der Geschicklichkeit, wie sich das Mongolenbaby, während es von übermütigen Kälbern eingekreist wird, sich im Zeitlupentempo so von der rostigen Tonne zur Erde herunterlässt, dass seine „Zibbeli“* nicht gequetscht oder geschnitten wird. Von dieser Art sind viele unerwartete Spannungsmomente des Films.

Meine Favoriten waren eindeutig die Babys, die im Kral in Namibia aufwachsen. Abgesehen davon, dass die Landschaftsaufnahmen und die Physis dieser Menschen eine Augenweide sind: wenn man sieht, wie seelenruhig man die Babys im Staub („Dreck“) spielen lässt, Steinchen probieren und essen, alles in sich aufnehmen lässt, nicht nur berühren, was in ihrer Umgebung ist, dämmert einem eine völlig andere Weltsicht dieser Menschen: Sie machen einfach keinen wesentlichen Unterschied zwischen sich und ihrer Umgebung, es gibt keine unsichtbaren oder sichtbaren Grenzen, Glasscheiben oder Hinweistafeln. Es gibt auch keine Rangordnungen oder Hierarchien in dem Sinne, dass die Kinder oder Tiere einen bestimmten, abgegrenzten Raum haben; sie praktizieren damit das selbstverständlich, was die moderne Wissenschaft ohnehin immer mehr bestätigt: die für westliche Augen gesicherte bzw. sichere Trennung zwischen dem Individuum und seiner Umwelt – die Außenwelt fängt da an, wo die Haut „aufhört“ – ist eine Illusion und Sinnestäuschung. Alles gehört irgendwie zusammen und ist voneinander abhängig, untereinander im Austausch.

Der entspannteste Ort der Welt:  der namibische Kral. Dazu passt, wie das Baby aufrecht gehen lernt: Ihm wird spielerisch eine alte, verrostete Dose auf den Kopf gelegt, wenn sie runterfällt … wird sie ein paar Mal wieder hingelegt …

Man möchte sich in einem bequemen Sessel zurücklehnen, nachdenken und seufzen: Irgendwie ist sie doch gut so, diese Welt mit ihren so wunderbar unterschiedlichen und doch wieder ähnlichen Menschen. Man mag sich gar nicht ausmalen, dass diese Menschen morgen ihre wunderschönen, selbstgemachten Halsreifen und ihren silbernen Fußschmuck gegen ein paar ausgeleierte, alte T-Shirts aus einer europäischen Altkleidersammlung eintauschen könnten.

(Zumindest der Film) Babys ist eine meditative, sehr tiefgründig-witzige Lockerungsübung für westliche Erwachsene.

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*Zibbeli=Pullermann, Himpelchen,regional sehr verschieden

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