Kriegsmeldung des Tages

Noch im Halbschlaf stolperte ich die Treppe hinunter und sah verschwommen die Tageszeitung auf der Treppe liegen, „45.000 Koblenzer werden evakuiert… Bomben … starke Beeinträchtigung …“. Die Verarbeitung der Information durch meine Synapsen erfolgte schleppend und ich fragte mich, was da passiert sei.

Kriege lösen die zeitliche Abfolge der Dinge auf. Die Nachricht war irgendwie aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.

Die Folgen des zweiten Weltkriegs sind jetzt noch immer zu spüren – täglich, verändern die Vergangenheit, beeinflussen die Gegenwart und wirken in die Zukunft. Sie lösen Linearität auf.

Die 1,8 Tonnen Bombe war vor 66 oder 67 Jahren in den Rhein gefallen, auch nach Jahrzehnten kann sie theoretisch noch explodieren. In Wahrheit hören die Folgen von Kriegen nie auf.

Materielle Schäden, körperliche und seelische Verkrüppelungen, die sich in die nächsten Generationen hineinvererben.

Für einen Moment dachte ich, es mit einer Kriegsmeldung des Tages zu tun zu haben – offensichtlich einem schlechten Schlaf und meiner Erbitterung und Sorge über Kriegsbemühungen dieser Tage geschuldet.

Als wenn nicht Krieg die größte denkbare humanitäre Katastrophe für die Menschen überhaupt sei, wird an der Schraube der „humanitären“ Kriege zum Schutze von Zivilbevölkerungen gedreht und gedreht und gedreht. Dazu obszönes Gerede über präventive Schläge, Spekulationen über Alllianzen.

Das erinnert mich an Märchen, in denen sich die Tänzerin immer schneller und schneller dreht, bis ihre Füße schließlich rotglühend werden und sie am Ende tot umfällt.

In Deutschland ist‘s surrealistisch – Künstler und Intellektuelle im Verein mit Politikern beklatschen sich gegenseitig dafür, dass sie eine braune Machtergreifung verhindern. Die gute Nachricht (Hitler ist tot!) kann und wird sie nie erreichen. Auch nicht die, dass sich die Geschichte nie derart plump wiederholt. Gebannt verfolgt man das dreiste braune Bühnenstück, dessen Auflösung wir vermutlich nie erhalten werden. Die Darsteller sind so authentisch wie die V-Leute – solange sie denn bezahlt wurden.

„Unsere Kinder werden uns frage: Was habt ihr gemacht damals” hört man in einer schwergewichtigen  aktuellen Debatte des Landtages in Düsseldorf. Die Antwort lautet(e): Nichts!

Dabei würden alle Kreativität und Geist dazu gebraucht zu erkennen, was auf der Weltbühne gerade auf dem Spielplan steht. Einer komatösen Öffentlichkeit entgeht in weiten Teilen, dass sich um Syrien und Iran ein Weltkriegsszenario mit einer Konfrontation der NATO mit Russland und China vor unseren Augen auszubreiten beginnt. Ein russischer Flugzeugträger kreuzt im Mittelmeer, der russische Außenminister hat wiederholt klar gesagt, dass eine „humanitäre“ Intervention in Syrien à la Libyen nicht in Frage käme, die rote Linie ist gezogen.

Die deutsche Regierung, eifrig bemüht, einen Sonderweg zu vermeiden, ist beflissen, die Sanktionsspirale einzuhalten. Als wenn es nicht bekannt wäre, dass es sich dabei nur um eine erprobte Vorstufe von Stufe rot handelt, die mit einem humanitären Bombardement oder einem präventiven Bombenangriff auf unterstellte atomare Massenvernichtungswaffen beginnen wird.

Keine Beweise nirgends. Die Toten sind weder gezählt noch wenigstens im Nachhinein der Argumentation angepasst. Dazu bleibt keine Zeit, besteht kein Grund und keine Forderung, die nächste Aufgabe ruft.

Man vermeint, die Zukunft sprechen zu hören, wenn Politiker in uniformiertem Formel-Speach und  Bürokratendeutsch ankündigen. Ich weiß, wie sich mediale Auftritte etwa von Westerwelle und seine näselnde Stimme anhören werden, wenn er die Opferzahlen nach einem Raketenangriff, sagen wir auf Koblenz, bekannt gibt: Es wird aufs Schärfste verurteilen. Es fallen Worte wie „menschenverachtend“ und „Gegenschlag“ und „NATO-Bündnis“.

Wenn russische oder chinesische Interkontinentalraketen die letzten Zeugnisse deutscher Städtebaukunst weggeputzt haben und 45.000 Menschen in Koblenz evakuiert werden mussten, wird man erstaunt feststellen, dass man sich unter diesen 45.000 befindet.

Auf jeden Fall wird mir unauslöschlich in Erinnerung bleiben, wie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – keiner der gewählten Lenker versuchte, sich dem Unheil entgegenzustemmen oder sich doch wenigsten fallenzulassen – um mit seinem Körper den sich auftuenden klaffenden Abgrund zu stopfen.

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