Gegen den Strich: Die wahren Amokläufer

Wenn die Medienwalze wieder einmal rollt, greife ich immer gerne zur Bürste.

Eine gemeinsame Laufrichtung hat für mich etwas Bedrohliches, und ich stelle mir dabei bildlich eine Bisonherde vor, die über die Prärie der Meinungsvielfalt trommelt; in der Ferne lauert vielleicht ein Abgrund, den die erregten Herdentiere gar nicht mehr wahrnehmen, das Trommeln, Schnauben und Stampfen der Artgenossen ist einfach übermächtig und übertönt etwaige Warnsignale. Die Dampfwölkchen, die aus Nüstern und Ohren des schnaubenden Medientrosses qualmen, machen taub und blockieren die Rezeptoren des Riechkolbens, um den Gestank der eigentlichen Skandale wahrzunehmen.

Wenn ich spüre, dass etwas skandalisiert werden soll und jemand bei mir bestimmte Emotionen auslösen will, wie bei einem Pawlowschen Hund den Speichelfluss, dann blocke ich, so etwas geht mir gegen den Strich, und dann bürste ich eben gegen den Strich. Ich hätte kaum geglaubt, dass ich mal etwas über Waffen und Waffengesetze schreiben würde: Ich überraschte mich damit selbst.

Meine Kindheit war geprägt vom strikten Pazifismus meiner Eltern, der sich u .a. in einem umfassenden Waffenverbot bei uns Kindern praktisch äußerte. Der Grund für dieses Verbot wurde schauspielerisch untermalt und in Szene gesetzt und so von uns Kindern begriffen: Denn unsere Eltern hatten beide den Krieg miterlebt. Beide wussten was schießen und bombardieren war, und ich kann dies nur schreiben, weil meine Mutter sich an jenem Tag, an dem ihr Haus mit einem Bombenvolltreffer ausgelöscht wurde, im Keller des Nebenhauses befand, um mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern einer Nachbarin beizustehen, die ob der permanenten Luftangriffe drohte den Verstand zu verlieren. Mein Vater trug durch den Horror des gesamten Krieges immer seinen Hausschlüssel mit sich zur ständigen Erinnerung an seinen festen Vorsatz, wieder nach Hause zu kommen.

Vor diesem konkreten Erfahrungshintergrund der Eltern war es unser Schicksal, als Kinder den rheinischen Karneval stets als Koch, Blumenmädchen oder Gärtner durchleben zu müssen. Das war verdammt hart. Denn eine (Spielzeug-)Pistole oder irgendeine andere „Anscheinwaffe“ kam nicht ins Haus. Es war sehr, sehr schwer nicht mitballern zu dürfen, wie gerne hätte ich auch mal Knallblättchen in so einen Colt eingelegt und Indianer und Cowboy gespielt. Aber das Schicksal wollte es anders.

Speziell verpönt war die Geste, seinen Zeigefinger und Daumen oder irgendein Spielzeuggewehr auf einen Menschen zu richten, nebst der entsprechenden akustischen Untermalung. Es wurde uns genau erklärt, warum es kein Spiel und kein Spaß sei. Diese Einsicht in die Obszönität der Schieß-Geste habe ich wohl tief verinnerlicht, denn ich muss gestehen, dass es mich noch heute wütend macht, wenn so ein kleiner Bubi irgendwo sein Plastikgewehr oder seine Hand auf mich richtet und „peng-peng“ daherplärrt.

Hinzu kam, dass es bei uns in den Kinderjahren lange Zeit hieß: Stecker raus! Die Woche hatte sieben fernsehfreie Tage. Das war fast noch härter. Denn ich musste montags in der Schule immer alle Register meiner Verstellkunst und Fantasie aufbringen, um zu vertuschen, dass ich am Wochenende wieder mal alle Sendungen verpasst hatte. Mit dieser Fernseh- und mithin gewaltfreien Zone räumte dann das Testosteron meines Bruders auf. Er probte den Aufstand gegen diese völlige „Verstaubtheit“ unserer Eltern.

Ich kann jedenfalls auf eine fast mediengewaltfreie Kindheit zurückblicken; ich hatte nicht Tausende von Morden, Folterungen, Vergewaltigungen und hysterischen Familiensoaps gesehen (allerdings auch kein Flipper und Bonanza, schluchz!); daher muss auch mein erster Auftritt in Sachen Liebe ziemlich authentisch gewesen sein – eben kein inneres Deja-vu.

Alle Formen des Leben sind mir gleichermaßen heilig, und strikte Gewaltlosigkeit prägt meinen Pfad, wenn ich auch zugegebenermaßen nicht wie die indischen Jains einen Mundschutz trage, um das Inhalieren von Insekten zu vermeiden und auch keinen kleinen Besen mitführe, um meinen Lebensweg von Kleinstlebewesen zu säubern, bevor mein Tritt sie ertöten könnte. Jedoch erscheint mir ein Slalomlauf im Walde um eine Ameisenstraße oder einen Raupenpfad als eine Selbstverständlichkeit. Gewaltlosigkeit – dazu gehört, dass ich fast völlig vegetarisch lebe, und wenn ein Frühstücksei mal meinen Tisch zieren will, dann muss ich vollkommen sicher sein, dass es von einer überaus glücklichen Henne gelegt wurde. Die Milch muss von einer Kuh stammen, die auf jeden Fall die Sonne gesehen hat und deren Hörner nicht kuhschänderisch abgesägt wurden.

Ich töte bewusst und mit einer gewissen Leidenschaft eigentlich nur ein Lebewesen: die Stechmücke, die mich am Schlafen hindern will. Ich gebe mir alle Mühe, Jäger nicht zu verabscheuen oder gar zu hassen; denn die Erfahrung des Lebens zeigt, dass wir den Dingen mit einer gewissen Gelassenheit begegnen müssen; sonst kann es einem wohlmöglich ergehen wie einer meiner Bekannten: Sie hatte sich schon als kleines Mädchen mitten in einem gutbürgerlichen Haushalt mit entsprechender Küche eine lebensreformerische, vegetarische Ernährungsweise erarbeitet und schon als Jugendliche angefangen, für sich separat das Essen zuzubereiten. Wen heiratete sie am Ende: Natürlich einen passionierten Jäger und Fleischesser.

Und jetzt schreibe ich also über Waffen und Amokläufe …

Der Amoklauf eines armen, möglicherweise von anderen missbrauchten und unter Psychopharmaka stehenden Menschen und seine Folgen sind ein schreckliches Ereignis; er ist wie eine Bombe, die herabfällt. Alle die sich im Radius des Bombentrichters befanden, sind betroffen. Das Ereignis ist schrecklich, aber doch begrenzt.

Dagegen haben die Amokläufe von gewählten Politikern unter dem Deckmäntelchen der Legalität eine ganz andere Dimension. Vor allem sind sie nicht nach einem Tag zu Ende, sondern sie wirken viel, viel weiter. Sie haben eine Verbrechensqualität erlangt, die nicht nur in der Gegenwart tötet und Schaden anrichtet, sondern sogar ermöglicht, in die Vergangenheit und Zukunft hineinzuwirken und diese im Extremfall auszulöschen.

Dies wurde mir anhand von Amokläufen einer besonderen Qualität bzw. Dimension während des völkerrechtswidrigen Irakkrieges bewusst:

Bekanntlich befindet sich ja auf dem Gebiet des heutigen Irak, dem Zweistromland des Euphrat und Tigris, die „Wiege“ der Menschheit. Die Sumerer, Assyrer und Babylonier brachten hier die frühesten Zivilisationen der Menschheit hervor, hier entstand das älteste Epos der Welt: das Gilgamesch-Epos; hier entstand der erste Gesetzestext der Welt: der Codex des babylonischen Königs Hammurabi. Im Irak gibt es 12.000 registrierte archäologische Stätten, hinzu kommen Tausende offiziell nicht registrierte Plätze.

Nach dem Einmarsch der alliierten Truppen 2003 und den Bombardierungen wurden aus dem Antikenmuseum in Bagdad mehr als 15.000 Exponate gestohlen. Die US-Militärs schauten dieser beispiellosen Plünderung tatenlos zu, ja es wurde berichtet, dass gezielt „nach Liste“ für Auftraggeber gearbeitet wurde. Die Plünderung der Goldvorräte der irakischen Staatsbank sei dagegen militärisch straff und unter strenger Aufsicht vonstatten gegangen.

Zudem wurde berichtet, dass das US-Militär, als man bei Hilla eine Militärbasis einrichtete, 2600 Jahre alten Stätten für Helikopterlandeplätze und Panzerparkplätze einebnete – in der Nähe der Hängenden Gärten der Semiramis, einem der sieben Weltwunder. Anschließend zerstörten polnische Soldaten mit schweren Panzern noch die antiken Steinböden und füllten den Schutt in Sandsäcke, die sie vor Angriffen schützen sollten.

Bis heute sind erst 3000 gestohlene Objekte wieder aufgetaucht. 1600 konnten in Nachbarländen, in Europa und den USA konfisziert werden. Durch die rechtlose Situation, die Verarmung und das allgemeine Chaos sind in den letzten Jahren jedoch permanente Plünderungsfeldzüge auf den archäologischen Stätten auch durch Einheimnische und Antiquitätenjäger der gesamten Region zu beklagen. Einige Stätten sind laut den Archäologen vor Ort schon unwiederbringlich zerstört. Sie werden niemals mehr rekonstruiert werden können.

Somit ist also nicht nur ein großer Teil der Vergangenheit des Irak vernichtet, sondern auch ein Großteil des kulturellen Gedächtnisses der gesamten Menschheit.

Dagegen Erscheinen die Flächenbombardements und die Zerstörungen von historischen Stadtkernen im Zweiten Weltkrieg nur als ein Vorlauf diese Amoklaufes namens „Auslöschung der Vergangenheit“.

Doch es gibt noch eine weiter Dimension des Amoklaufes: Die Zerstörung der Zukunft. Sie steht im Zusammenhang mit dem tonnenweisen Einsatz uranhaltiger Munition u. a. in den Irakkriegen und in Afghanistan. Die mit abgereichertem Uran ausgestatteten Projektile sind bei den Militärs sehr belieb wegen ihrer hohen Durchschlagskraft: Sie durchschneiden einen Panzer wie ein Buttermesser. Beim Aufprall auf ein Ziel bilden sich feinste uran- und uranoxidhaltige Luftpartikelchen, die ungehindert in die Lungen eindringen können und, nicht rückholbar, natürlich auch ins Erdreich und ins Grundwasser eindringen. Die Halbwertzeit dieses uranhaltigen, ultrafeinen Staubes beträgt 4,5 Milliarden Jahre; die Zerfallgeschwindigkeit der Radionuklide unter Abgabe von radioaktiver Strahlung ist also extrem langsam.

Der durch diese Munition in die Umwelt gebrachte strahlende Staub wir für den Anstieg horrender Missbildungen bei Neugeborenen, den Anstieg von Leukämie und Krebs in den betroffenen Ländern und einem vorzeitigen Sterben unter der Bevölkerung aber auch bei rückkehrenden alliierten Soldaten verantwortlich gemacht. Auch unter früheren alliierten Soldaten mehreren sich die Fälle von genetischen Defekten bei ihren Kindern und unerklärlichen Krankheiten und „Syndromen“.

Das öffentliche Auftreten und der persönliche Einsatz von Prof. Dr.  Siegwart-Horst Günther („Uran-Geschosse: Schwergeschädigte Soldaten, missgebildete Neugeborene, sterbende Kinder“, Ahriman-Verlag) hat dieses Verbrechen an der Zukunft ganzer Regionen ins Bewusstsein gerückt. Ebenso der Dokumentarfilm von Frieder Wagner (Todesstaub/ Deadly Dust).

Traurigerweise muss man jedoch immer noch von einem Tabu im Hauptstrom der Medien sprechen, das verhindert, dass dieser Amoklauf endlich gestoppt und auf die Tagesordnung aller sonntagsredenden Politiker gesetzt wird, die von unglaublichem Eifer beseelt und mit fantastischer Effizienz begabt sind, wenn es darum geht, auch noch dem letzten Schützenhauptmann sein Traditionsgewehr abzunehmen und dem letzten Archäologen seine Faustkeilsammlung zu entreißen, aber von ebenso fantastischer Feigheit und Zahnlosigkeit befallen sind, wenn es darum geht, den Amoklauf der Uranmunition zu stoppen.

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