Nie wirklich ausdiskutiert: Betrachtungen zu spanischen Abtreibungsstatistiken bei Minderjährigen

Derzeit wühlt in Spanien eine Gesetzesinitiative der regierenden Sozialisten die Menschen auf, und sogar 58% der Wähler dieser Partei (und 88% Wähler der Opposition) stehen ihr negativ gegenüber:

In Spanien soll zugelassen werden, dass Minderjährige ohne Wissen und Erlaubnis der Eltern abtreiben dürfen. Damit handelt es sich im Grunde um eine Anpassung des entsprechenden Gesetzes an die restlichen EU-Staaten:

In Ländern wie Großbritannien, Holland, Griechenland, Portugal, Norwegen, Tschechien, Lettland und Litauen können Minderjährige bereits alleine entscheiden, ohne dass ihnen irgendeine Bedingung auferlegt würde. In Deutschland wird die Urteilsfähigkeit der Minderjährigen geprüft. In Ländern wie Frankreich und Finnland muss das Einverständnis eines Tutors bzw. des Arztes vorgelegt werden, nicht der Eltern.

Viele Erwachsene halten es in Spanien für unvorstellbar, dass Minderjährige weder Rauchen noch Alkohol ausgeschenkt bekommen dürfen, aber bei einem solchen Eingriff nicht einmal ihre Eltern informieren müssen. Befürworter des Gesetzes halten dagegen, dass im Jahr 2002 das Alter für die medizinische Selbstbestimmung auf 16 Jahre festgelegt wurde, allerdings mit Ausnahme von Aborten und Maßnahmen der Reproduktionsmedizin. Das erscheint jetzt unlogisch, denn warum soll ein Mädchen entscheiden dürfen, sich die Brüste zu vergrößern oder Fett absaugen zu lassen, aber nicht, eine Abtreibungspille zu nehmen oder sich den Embryo absaugen zu lassen (Vakuumaspiration)?

Die Fronten sind wie immer und wie überall einigermaßen verhärtet und die Diskutierenden scheinen einander kaum zuzuhören. Das ist schade, denn es handelt sich allemal um ein ernstes Thema, das es an sich haben sollte, nie wirklich ausdiskutiert zu sein…

Bei Betrachtung der spanischen Statistiken (S. 17) fällt zunächst auf, dass sich seit 1998 ein permanenter Anstieg der Abtreibungen bei Minderjährigen feststellen lässt. Auf 1000 Schwangerschaften kamen 1998 ca. 5,8 % Abtreibungen; im Jahr 2007 stiegen sie auf 13,79 Prozent und ein Ende des Anstieges ist nicht abzusehen.

Das ist ziemlich bedenklich und hier müsste eine gesellschaftliche Diskussion einhaken, denn an Aufklärung fehlt es in spanischen Schulen wahrlich nicht: Es wird weidlich geübt, Kondome über Plastikpenisse zu ziehen. Zur Abschreckung werden Filme von Geburten gezeigt, mehrmals und in verschiedenen Jahrgängen, was seinerseits schon fast einer emotionalen Vergewaltigung von Minderjährigen gleichkommen kann. Denn die Aufklärungsfilme zeigen ein Ereignis in aller Brutalität, dessen Beobachtung in allen Kulturen der Welt nur wenigen „Befugten“ erlaubt ist.

Wenn man sich mit spanischen Lehrern unterhält, so klagen sie alle über die übertrieben Sexualisierung der Schüler. Schon in der Vorpubertät gibt es bei Mädchen fast nur noch ein Thema – wie man die Aufmerksamkeit von Jungen erregt. Am frühen Nachmittag sind Seifenopern aus südamerikanischer und heimischer Produktion ein Muss, in denen es wiederum nur um ein Thema geht. Unter pädagogischen Gesichtspunkten grenzen solche Filmprodukte fast an eine böswillige Täuschung von Heranwachsenden. Ihnen wird eine völlig verzerrte Realität vorgegaukelt. Das Hauptproblem für ein pubertierendes Mädchen ist demnach, wie es sich begehrenswert-sexy stylen kann, um möglichst viele Jungen zu interessieren und durch ihre Attraktivität die Chancen auf eine Beziehung mit einem ebenfalls äußerlich höchst attraktiven Jungen, möglichst ohne Betrügereien und Eifersucht, erhöhen zu können. Ein einigermaßen merkwürdiges Konzept.

Das Phänomen der Soapopera-Sucht bei Mädchen in Spanien ist ein gängiges. Bei spanischen Jungen spielen Seifenopern kaum eine Rolle, dagegen gibt ein Motorrad (und sobald als möglich ein Auto) Prestige bei den Mädels und erhöht die Chancen auf Sex.

Vor ca. 2 Jahren las ich in „El Pais“ das Ergebnis einer Studie, die in Màlaga unter 1000 minderjährigen Schwangeren durchgeführt wurde. Thema war u.a. das Eruieren der Umstände, unter denen es genau zu der Schwangerschaft gekommen war. Die Teenager sagten übereinstimmend, ihr Freund habe von ihnen Sex verlangt, da er sie ansonsten verlassen und mit einer anderen gehen werde. Das ist von der Warte eine Sechzehn- oder Siebzehnjährigen durchaus verständlich: Seine Hormone drängen ihm zu Großem, und warum sollte er mit einer Zögerlichen Zeit verschwenden?

Spanien ist ein Land, das seinen Jugendlichen außer dem Thema „Kondome“ und „notwendige Verhütung“ nichts zum Thema „Sex“ bzw. „Beziehung zwischen Mann und Frau“ zu sagen hat, in anderen Ländern steht es, fürchte ich, nicht viel anders. Sexualität ist also im Unterricht in keinen anderen Kontext eingebettet, als in den der Verhütung von Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten..

Es ist natürlich, dass man Informationen aus Zeitungen und Statistiken, die man liest , mit Informationen aus seinem Umfeld abgleicht. So erfuhr ich immer wieder in Gesprächen, dass die Abtreibungspille unter 15-18jährigen Schülerinnen quasi ein Dauerthema ist. Allerdings scheint über ihren genauen Mechanismus weitgehende Unklarheit zu bestehen: Nämlich den des Absterbens des Embryos über drei Tage im Mutterleib. (Im Gegensatz zu der postkoitalen Pille).

Eine 16jährige Schülerin aus meinem Bekanntenkreis wurde schwanger und trug das Kind aus. Die Eltern hatten ihr Unterstützung zugesagt. Nachdem das Kind zur Welt gekommen war, kam nicht eine(r) ihrer Klassenkameraden/Innen, um das Kind in Augenschein zu nehmen, vielleicht ein Geschenk oder ein paar Küsse abzugeben o.ä. Das junge Mädchen war plötzlich gänzlich isoliert und wurde als ”peinliche Versagerin“”gehandelt. Die junge Mutter geriet so unter Druck, dass sie abrupt abstillte, weil sie möglichst schnell wieder ihre vorherige Figur haben wollte und eine strikte Diät begann. Sie traute sich nicht mehr in ihre vorherige Umgebung zurück, sondern begann eine Ausbildung als Sekretärin dort, wo sie niemand kennt. Mit dem Erzeuger des Kindes kann nicht gerechnet werden, er schrieb sich gerade bei der spanischen Fremdenlegion ein.

Niemand möchte in spanischen Landen die Zeiten General Francos wiederhaben. Da waren Scheidungen unmöglich, was zu viel Leid und schlimmen privaten Situationen führte, und Abtreibungen mussten geheim oder in Frankreich vorgenommen werden. Eine spanische Bekannte wurde in dieser Zeit von ihrem Ehemann, da bereits sieben Kinder aufzuziehen waren, bei einer erneuten Schwangerschaft massiv zur Abtreibung gedrängt, sprich: er tobte. Rational gesehen hatte er Recht, seine Frau argumentierte jedoch, wo sieben satt werden, wird auch noch ein weiteres Kind satt und war innerlich gegen den Eingriff. Der Ehemann jedoch drohte weiter und schließlich wurde eine private Klinik gefunden, die den Eingriff vornahm. Direkt danach ließ die Gynäkologin die Bemerkung fallen, dass Kind habe noch gelebt, was die Mutter „durchdrehen“ ließ. Sie konnte den Gedanken daran nicht „aushalten“ und kann es heute, 30 Jahre danach, noch nicht – vermutlich bis an ihr Lebensende. Immer wenn sie auf das Thema zu sprechen kommt, pflegt sie zu sagen: „Ich hätte das Kind einfach kriegen sollen, egal was mit der Beziehung passiert wäre. Diese ging einige Jahre später auseinander.

Bei der derzeitigen Diskussion in Spanien um das Thema Abtreibungen bei Minderjährigen, wird merkwürdigerweise nicht problematisiert, dass die Abtreibungen von 15-19jährigen seit Jahren steigen. Dies zeigt auch die oberste Linie in der statistischen Graphik des spanischen Gesundheitsministeriums, die ich oben eingeblendet habe.

Ebenfalls steigt die Gesamtziffer der Abtreibungen in Spanien sei Jahren – auf zuletzt 112.138 Abtreibungen im Jahr 2007 (1998 noch 53.847). Deutschland verzeichnet dagegen seit Jahren stetig sinkende Abtreibungsgesamtzahlen. 2006 – 119.710; 2007 — 117.000.

Vergleichbar sind in Spanien und Deutschland die Geburtenraten: Beide Länder haben seit Jahren real Bevölkerungsschwund, die Geburtenraten oszillieren bei 1,3 – 1,4 Geburten pro 1000 Einwohner. Nicht jedoch vergleichbar ist die Gesamtbevölkerungszahl, die bekanntlich in Deutschland bei ca. 82 Millionen liegt, in Spanien aber nur bei 45 Millionen. Insofern ist es bedenklich, das die absoluten Abtreibungsziffern in Spanien und Deutschland quasi gleichauf liegen, ja sogar Chancen bestehen, dass Spanien Deutschland überholen könnte, sollte der Trend sich weiter fortsetzen.

Ebenfalls bedenklich stimmt die Tatsache, dass in Spanien im Jahr 2007 über 2000 Schwangerschaften nach der 21. Woche abgebrochen wurden. Ab dieser Woche gilt der Embryo außerhalb des Mutterleibes theoretisch als überlebensfähig… Diese Zahl ist in Deutschland wesentlich geringer; z.B. gab es 2006 ca. „nur“ 183 Abtreibungen nach der 21. Schwangerschaftswoche.

Insgesamt gesehen ist das Phänomen „Abtreibung“ jedoch nicht etwas, dass besonders Minderjährige, kinderreiche oder alleinstehende Frauen beträfe. Im Gegenteil: Das Gros der Frauen treibt im (biologisch) besten Alter von 20-35 Jahren ab. In Deutschland wurden 2006 42,7 Prozent der Abtreibungen bei Verheirateten vorgenommen, in Spanien waren es 2006 25%.

Zurück zu den Minderjährigen in Spanien: Die erwähnte Untersuchung aus Màlaga zu den Begleitumständen der ungewollten Schwangerschaften würde u.U. einen Erziehungsansatz eröffnen, der verstärkt Wert darauf legt, bei Jugendlichen beiderlei Geschlechts einen anderen Selbstwert, ein anderes Selbstverständnis und eine andere Identifikationsmöglichkeit zu fördern, als allein die Definition über das Sexuelle.

Es gibt meiner Ansicht nach zwei Bereiche, wo die Schule junge Menschen in weitgehender Unkenntnis ins Leben entlässt: Das sind Fragen über menschlichen Beziehungen inklusive dem Stellenwert von Sexualität, ganz allgemein psychologisches Grundwissen, sowie wirtschaftliche bzw. finanzielle Grundkenntnisse.

Als ich die Schule verließ war das so und heute ist’s noch immer so: Junge Leute haben neben dem bereits beschriebenen psychologischen, emotionalen und spirituellen Nicht-Wissen in Beziehungsangelegenheiten ebenso profunde Unkenntnis, was z.B. eine Hypothek ist, was Zinsen sind, was ein Girokonto, wie Banken arbeiten, was man meiden und beachten sollte etc.

Entsprechend häufig fällt man, nachdem man in der Schule angeblich für’s Leben gelernt hat, im „Leben danach“ in diesen beiden so wichtigen, wenn auch völlig unterschiedlichen, Bereichen auf die Nase. Der über die Jahre anhaltend umfangreiche Markt an Ratgeberliteratur zu Beziehungsfragen ist u.a. ein Indikator dafür.

Die Zurückhaltung des Staates ist unverständlich, da er sonst gar nicht scheu ist, in den Schulen über Gender-Problematik, Homosexualität, gleichgeschlechtliche Hochzeiten und Geschlechtsumwandlungen im Ethikunterricht und anderswo zu informieren, jedoch nichts Grundlegendes zu diesen beiden Themenkreisen zu vermitteln hat. Dabei wäre es wünschenswert, eine gesellschaftliche Diskussion anzuregen, die auch die Eltern mit einbezieht. Denn diese halten sich nicht selten so „nobel“ mit Ratschlägen bei ihren Schutzbefohlenen zurück, weil sie ebenfalls in den benannten Bereichen gescheitert und selbst stark verunsichert sind.

Frühere Epochen waren bekanntlich in Europa wesentlich restriktiver, was den Zugang zu Sexualität anbelangte. In der Jetztzeit ist der Zugang so leicht wie noch nie. Es gilt überhaupt keine Hürde mehr zu überwinden. Es wäre eine Überlegung wert, den Zugang wieder etwas zu erschweren, nicht aus Gründen der (vergangenen) verklemmten und verheuchelten Sexualmoral, sondern vielleicht aus dem Grund, das Eltern und Gesellschaft wieder ein größeres Interesse an ihrer nächsten Generation zeigen.

Statt die Sexualität konsequent zu stimulieren, was auf eine Art genauso verheuchelt ist wie die vergangene verklemmte Sexualmoral, wäre es wünschenswert, dass junge Menschen erst einmal Zeit gegeben würde, einen Selbstwert aufzubauen, der in sich selbst begründet liegt und der sich nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Abhängigkeit von der Beurteilung durch das andere Geschlecht begibt.

Über das Für und Wider von Abtreibungen zu streiten, hat grundsätzlich keinen Sinn. Meistens geht dieser Streit ohnehin über die Köpfe der eigentlich Betroffenen hinweg. Wäre ich Familienministerin oder etwas ähnliches, würde ich in erster Linie den verlogenen Kult um das Sexuelle öffentlichkeitswirksam in Frage stellen. Natürlich würde ich mich dann bei den entsprechenden Unternehmenszweigen, die dieses Thema zu bearbeiten und finanziell abzuernten pflegen, recht unbeliebt machen: Jugendlichen wird in den eigens für sie geschaffenen Medien, TV-Sendungen, Zeitschriften etc. allen Ernstes von der zynischen Erwachsenenwelt vorgegaukelt, um Anerkennung und Liebe zu erlangen, bräuchte man nur Sex mit einem coolen Jungen oder einer heißen Braut zu haben. Welch vorsätzliche Täuschung!

Dabei weiß es die Erwachsenenwelt besser: Sie weiß von einsamen Erwachsenen, die verzweifelt über das Internet versuchen, an die große Liebe heranzukommen, von einsamen Frauen, die wild entschlossen versuchen, ihren „Mr. Right“ zu finden und dabei eine Enttäuschung nach der anderen erleben, von einsamen Männern, die beim routinemäßigen Besuch von Pornoseiten zu einsamen, fantasielosen Pornografen werden, von Paaren, die den ersten Sex mit Liebe verwechselten und jetzt, bis sie 80 sind, gemeinsam die Hypothek für ihre Wohnung abzahlen dürfen, von den unzähligen Kindern und Ex-Partnern, die unversehens zu „Altlasten“ wurden. Wie oft war es eigentlich alles nur ein Missverständnis?

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Neulich las ich in einer Aussendung über ein Kurzfilm: „Maria und ihre Kinder“. Ich schaute ihn mir an und war ziemlich beeindruckt. Er handelt von einer jungen Frau, die oft vor einer Münchner Abtreibungsklinik steht und junge Frauen anspricht. Maria hat offensichtlich einen christlich-konservativen Hintergrund. Was ich wichtig fand, war, dass sie überhaupt einen Hintergrund hatte. Denn mich beeindruckten schon immer Menschen, die nicht nur „laberten“, sondern ihre Überzeugungen auch konsequent lebten.

Maria hat vielen Kindern zum Leben verholfen; sicherlich hat sie vorwiegend bei Frauen Erfolg, die im tiefsten Innern eigentlich nicht abtreiben wollten. Denn keine Macht der Welt kann Frauen dazu zwingen „Hüterin“ des Lebens zu sein, wenn sie es nicht wollen. Der liebe Gott hat uns nun mal den freien Willen gegeben, mit allen Konsequenzen…

Trotzdem bekenne ich hiermit meinen Respekt und meine Sympathien für Maria, da ich nun mal eine feurige Vertreterin des Prinzips der Ehrfurcht vor dem Leben bin – in allen seinen Formen.

Film
Teil 1: http://www.youtube.com/watch?gl=DE&hl=de&v=qyAN8a8I8Gk
Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=frXcc4WgRZ8&feature=related
Teil 3: http://www.youtube.com/watch?v=CxSn2NSmawU&feature=related
Teil4: http://www.youtube.com/watch?v=ldURg0-Z4v4&feature=related
Teil 5: http://www.youtube.com/watch?v=YJu4IUrz9HA&feature=related
Teil 6: http://www.youtube.com/watch?v=CuF-vt6WvLM&feature=related

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