Auf dem Bauch liegend blinzelte ich über die kleine Sanddüne hinunter zum Meer, und ich nahm eine junge Frau wahr, die einen ausgemergelten, ausgezehrten, aber sehr durchtrainierten Körper hatte. Die junge Mutter kümmerte sich vor allem um das jüngste ihrer vier Kinder. Ab und zu sprang in meinen begrenzten Bildausschnitt ein kleines Kerlchen mit einem dicken Windelpaket an den Händen der Mutter aus dem Wasser in die Luft. Ich beobachtete es, wie das Springen von Fischen oder das Fliegen der Möven.
Nach ein paar Stunden packte man zusammen, und die Kinder liefen brav in ihren weißen Strandkleidchen hinter der Mutter her.
Ein paar Minuten später änderte sich diese friedliche Formation abrupt. Die Mutter kam mit dem Söhnchen auf dem Arm, die restlichen Kinder hinter ihr laufend, zum Strand zurück. Schweiß lief ihr über das Gesicht. Sie fragte mit amerikanischen Akzent: „Entschuldigung hat irgendjemand eine schwarze Brieftasche gesehen? Ich war gerade im Supermarkt, und sie war nicht mehr in meinem Rucksack.“
Es stellte sich heraus, dass die Mutter vor meinen Augen beklaut worden sein musste. Sie war ins Wasser gegangen und dachte, sie könnte ihren Rucksack in zwei Meter Entfernung im Sand liegen lassen. Ich hatte die ganze Zeit aufs Meer geschaut, hatte aber, da ich auf dem Bauch lag, nicht den gesamten Winkel. Etwa ein halber Meter Strand lag hinter der abschüssigen Düne verborgen…
Wir gruben im Sand, schauten in alle Müllbehälter, die Polizei kam. Wir machten in Blitzesschnelle eine Essensammlung, Ausländer und Spanier. Ein Laib Schwarzbrot, Erdnussflipps, Kartoffelchips, eine Tortilla.
Mehrere Kreditkarten, der Führerschein, die Versicherungskarte, der Pass, 200 Euro und 200 Dollar waren weg.
Die spanische Polizei verwies auf den Autobus. Daher fuhr ich die Frau samt ihrer Kinder in die nächste Stadt zur Polizei, um die Anzeige bestätigen zu lassen und vor allem, um die Telefonnummern des amerikanischen Konsulates und der Botschaft zu erfragen, denn die Kreditkarten mussten gesperrt werden.
Die Frau war geradezu unheimlich ruhig. Einer Freundin war vor etwa einem Jahr etwas Ähnliches passiert: Ihr war ihre gesamte Handtasche aus dem Autokofferraum geklaut worden, und sie hatte einen völligen Nervenzusammenbruch am Strand erlitten. Aber so etwas konnte sich die Amerikanerin vor den Augen ihrer vier Kinder nicht leisten.
Unterwegs hatten wir Zeit zu reden. Die Schlüssel zur Ferienwohnung waren zum Glück nicht geklaut worden. Im Kühlschrank war auch noch etwas Obst und Saft. Ja, die Familie kam aus den USA. Der Ehemann hatte gerade erst einen neuen Job in Amsterdam erhalten. Nur deshalb hätten sie überhaupt einmal in Urlaub fahren können. Ein Teil ihrer Familie hätte spanische Wurzeln. Ihr Mann hätte noch keine Wohnung gefunden und wohne noch in einem Hotel mit einem Freund zusammen. Seine Telefonnummer war in der Brieftasche gewesen. An den Namen des Hotels konnte sie sich einfach nicht erinnern…
Ihr Mann hätte vorher für die katholische Kirche gearbeitet, die hätte aber nichts bezahlt. Dann hätte er diesen Job gefunden und geholfen, in Amerika Filialen der Firma zu schließen. Daher habe er jetzt den Job in Holland erhalten, den er von einer Frau, die in Pension gegangen war, übernehmen konnte. Das Leben in den USA sei schwierig. Als sie mit dem vierten Kind schwanger war, (da muss sie 43 Jahre alt gewesen sein), war es unmöglich eine Krankenversicherung zu erhalten.
„Am 1. 11. wird mein Mann wieder arbeitslos sein.“ „How do you feel about that?“ „Nun, er hat eine angenehme Persönlichkeit, und er hat studiert, hat eine gute Ausbildung. Wenn wir Glück haben, gibt es drei Monate lang ein Abfindungsgeld. Zum Glück haben wir beide Familie. Im schlimmsten Fall muss ich versuchen zu arbeiten.“
„Mit vier Kindern?“, fragte ich. Im Auto roch es mittlerweile nach Windel und nach Blut. Das Strandhemd der Mutter hatte sich verfärbt, und ihr Söhnchen hatte in der Aufregung seine Sandalen verloren. Derweil waren wir bei der Polizeistation angekommen. Ich übersetzte, und der Gendarm stellte uns zum Konsulat durch. Die Mutter sprach mit leiser Stimme während sie den Jüngsten stillte, da er vor Erschöpfung angefangen hatte zu schreien.
Das Konsulat betonte mehrmals, es sei nicht bereit, mit Geld auszuhelfen. No money! Das erwartete die Amerikanerin auch gar nicht. Sie wollte nur Hilfe wegen der Kreditkarten. Sie erhielt eine Notfallnummer.
Am nächsten Tag bedankte sich die sympathische Frau für alle spontane Hilfe, und sie betonte tapfer und gefasst, wie viel Gutes doch aus dieser Notsituation erwachsen sei.
Im Stillen dachte ich, dass die Welt eigentlich dringend Amerikaner bräuchte, die nicht so unendlich tapfer und gefasst sind, wenn sie beraubt und ausgebeutet werden …
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