„In diesem Land werden wir, die Bürger, über bedrohliche Entwicklungen systematisch im Unklaren gelassen und getäuscht. Auf der politischen Bühne werden Scheingefechte inszeniert und Konflikte ins Rampenlicht gerückt, die nur der Ablenkung vom Kern der deutschen Misere dienen.“ (Georg Schramm)
Georg Schramm ist für viele eine Institution. Der bekannte politische Kabarettist und Buchautor aus Badenweiler ist seit einigen Monaten einmal pro Monat im ZDF in „Neues aus der Anstalt“ zu sehen; zusammen mit Urban Priol und wechselnden geladenen Gästen, die sich jeweils auch für einen Abend in die „Irrenanstalt“ einliefern lassen. Die Sendung benutzt den Kunstgriff, die Welt als „Narrenschiff“, als Irrenhaus, darzustellen; dadurch genießen die „Insassen“ oder die Mannschaft an Bord Narrenfreiheit, die sie auch weidlich ausnützen, bis auch dem letzten Zuschauer dämmert, dass die vermeintlich Wahnsinnigen in der „Anstalt“ die einzig Vernünftigen sind und die da draußen sich eigentlich einliefern lassen müssten …
Analysiert man die Kommentare zu Schramms Fernseh- und Bühnenauftritten und schaut man sich an, wer bei ihm im Publikum sitzt, so fällt auf, dass Schramm bei allen Generationen ankommt. Denn er bietet den Menschen etwas, was ihnen heute durchweg von Politikern und Medien vorenthalten wird: Er setzt seinem Publikum schöne saftige Kauknochen statt Pudding und Kartoffelpüree vor; will sagen, Schramm hat eine sehr deutliche, oft auch politisch inkorrekte Sprache und redet nicht um den heißen Brei herum. Er ist erfüllt von heiligem Zorn. Das schafft dem frustrierten Zeitgenossen regelmäßig Erquickung und Erleichterung.
Damit ist Schramm, obwohl „Insasse“, eine Art Therapeut – kein Wunder, hat er doch im richtigen Leben nach Abitur und Bundeswehr, wo er es zum Offizier der Reserve brachte, Psychologie studiert und war 12 Jahre an einer neurologischen Reha-Klinik tätig …
Schramm ist im Bereich des politischen Kabaretts eine Ausnahmeerscheinung. Seine schauspielerische Wandlungsfähigkeit, sein Sprachwitz und das Tempo, das er vorlegt, fordern sein Publikum und sind staunenswert. Gleichzeitig schafft er es, immer niveauvoll zu bleiben und nicht in die Niederungen so manch einer Blödelshow abzugleiten.
Er ist ein „homo politicus“ von der analytischen Schärfe eine Paprikaschote. Vermutlich deswegen verschont er uns auch mit Kritik, die eine parteipolitische Lastigkeit aufweisen oder gar irgendeiner Partei zu Gute kommen könnte. Das hängt damit zusammen, dass Schramm mit seinen „Alter Egos“, dem preußischen Rentner Lothar Dombrowski, August, dem alten, hessischen Sozialdemokraten, Oberst Sanftleben und Rüdi, der rheinischen Frohnatur viel systematischere und radikalere Kritik übt. Bei dieser Kritik geht es keineswegs nur gegen „die da oben“, sondern das Publikum ist ebenfalls einbezogen, indem er ihm facettenreiche Spiegel vorhält. Dabei hilft Schramm seine Wandlungsfähigkeit, mit der er in seine selbst gewählten Paraderollen schlüpft, z.B. die phonetisch richtige Imitation von Dialekten, dem Schauspielern von Senilität oder der überzeugenden Darstellung sozialer Milieus.
Mit der Art, wie er unsere Sinne für politische Missstände, Ungerechtigkeiten, Niedertracht und Lächerlichkeit schärft, leistet er quasi demokratische Basisarbeit. Denn unser öffentliches Leben krankt wohl am meisten daran, dass wir zum einen die wirklichen Probleme, die wir in unserem Land und mit unserem System haben entweder gar nicht mehr erkennen können, oder, falls wir sie trotz aller Fehlinformation und Verniedlichung doch erkannt habe, sie nicht in Worte zu fassen wissen. Diesem Misstand leistet Georg Schramm tüchtige Abhilfe. Durch seine Shows und seine bissigen Analysen verwandelt er uns von zahnlosen, geduldigen und überaus leidensfähigen Biedermännern- und frauen in ungeduldigere, bissfreudigere, geistig fittere Bürger – wenigsten für eine gewisse Zeit danach – bis er, Gott sei Dank, wieder politisches Yoga mit uns macht.
Man kann sich lebhaft vorstellen, dass Schramm damit einigen Mächtigen ganz gewaltig auf den Schlips tritt. Gerade in den letzten Folgen der Show meint man bei dem Kabarettisten und seinen stets sehenswerten Mitstreitern, eine mutige Steigerung feststellen zu können… Andererseits haben seine Shows auch eine Art Ventilfunktion: Millionen von Menschen können mit seiner Hilfe eine Menge Dampf, Frust und Ärger über die Zustände in diesem unseren Land ablassen. Ist Schramm daher vielleicht sogar zu einem Stabilitätsfaktor für unser System geworden? Oder ist es gerade anders herum? Sollten wir Georg Schramm zuhören, solange er noch auf der Bühne zu sehen ist?
Entscheiden Sie selbst! Nachfolgend habe ich einige Höhepunkte aus den Shows vom 20.10.09 (Folge 28) und vom 17.11.2009 (Folge 29 mitgeschrieben. Alles Folgen von „Neues aus der Anstalt“ kann man in der ZDF-Mediathek abrufen.
Aus Folge 28
Über die Kanzlerin:
„Wenn die Merkel aus Opportunismus das täte, was das Volk will, dann wären wir ja vergleichsweise gut dran. Dann hätten wir demnächst den flächendeckenden Mindestlohn, wir hätten Atomausstieg, wir hätten Tempolimit, Rückzug aus Afghanistan und ein Berufsverbot für die Anlageberater aller deutschen Banken. Verstehen Sie, das Volk ist ja weiter als sie. Sie will ja nur ohne Tempolimit mit Vollgas wieder in die Sackgasse; mit Volldampf wieder dahin zurück, sagt sie, wo wir vor der Krise waren. Und wo waren wir vor der Krise? Vor der Krise! Ganz vorne mitmischen beim Zug der Lemminge über die Klippen!
Das Volk z. B., das Volk würde liebend gerne den Banken das Ansehen wiedergeben, das sie früher einmal hatten, als man sie noch ’Geldverleiher’ nannte, ein dreckiges Handwerk, das ein ehrbarer Christ gar nicht ausüben wollte; als die Ackermänner und Nonnenmacher dieses Landes bei Hof noch den Dienstboteneingang nehmen mussten, statt heute als Duzfreunde der Herrschenden an der Tafel neben ihnen zu sitzen. Dass dürfen sie nämlich erst, seit sie den Mächtigen da oben den Wahlkampf finanzieren und dafür das Monopol für den Silbertaler verlangt haben – und auch bekommen haben! Das – das weiß sie alles, nicht wahr. Wenn sie opportun wäre gegenüber dem Volk, dann verliert sie die Gunst der Mächtigen. Ihre Macht ist ja nur geliehen. Wenn sie zur mächtigsten Frau der Welt gekürt wird von den Medien, dann ist das doch eine plumpe Farce. Sie ist ja nicht mal die mächtigste Frau in diesem Land. Das ist Liz Mohn und Friede Springer: BILD und Bertelsmann – die lautstarken Herolde eines maroden Systems, das weltweit an den Fäden der Geldverleiher zappelt, nicht wahr! Nur ein Handstreich von Friede Springer würde reichen, und ihre Tintenknechte schreiben die Kanzlerin vom Thron herunter und werfen sie ihrer eigenen Partei zum Fraß vor. Die wahrhaft Mächtigen, das ist gewiss, haben die Gunst des Volkes längst verloren. Deswegen ist diese Frau so wertvoll für sie. Solange die Frau die Gunst des Volkes hat, hat sie die Gunst der Macht. In der Biologie nennt man so was eine Symbiose. Und wenn es zu Lasten des Wirtstieres geht, dann nennt man es eine parasitäre Symbiose. Und das Wirtstier – das sind wir.“
Aus Folge 29
Über die Sprache politischer Parteien und die Kanzlerin:
„Das hat doch System, die Inhaltsleere, verstehen Sie nicht? Ihnen [zu Urban Priol hin] gerät die Kanzlerin immer zu so `ner vorpommerschen Platitüdenmamsell, zu so `ner mecklenburgischen Landpomeranze, die über den Suppentellerrand eines Heringsdorftrampels nie hinausgekommen ist und nichts anderes im Sinn hat, als den Minderwertigkeitskomplex einer bedeutungslosen Pfarrerstochter dadurch zu kompensieren, dass sie mit den Mächtigen an einem Tisch sitzt und von deren Tellern essen darf und von 80 Millionen Untertanen als Königin Aschenputtel verehrt wird.“
Über die Krise:
„’Wir fahren in der Krise auf Sicht’. [Volker Kauder] Das hat die Titanik auch gemacht. Aber es gibt einen wichtigen Unterschied: Wer hat Tempo und Kurs der unsinkbaren Titanik bestimmt? Der Mehrheitsaktionär. Und der saß in London, im Trockenen.“
Über politische Sprache:
„Die ganze Regierung redet ja so seltsam; dass Sprache zum Gegenteil dessen benutzt wird, wofür sie eigentlich da ist: zur Verständigung untereinander. Es wird extra so formuliert, dass wir nicht verstehen, was sie eigentlich wollen.“
Aus Schramms Buch „Lassen Sie es mich so sagen“
„Auch in mir rumort das Böse. Auch ich habe Gewaltphantasien. In schlimmen Nächten steige ich als Großinquisitor in die Folterkeller hinab. Dann werfen mir meine Schergen Kai Diekmann mit seiner ganzen BILD-Redaktion vor die Füße, und ich exorziere den Teufel der Volksverhetzung aus ihnen heraus.“
„Mit der Livesendung ‚Neues aus der Anstalt’ im ZDF hat nach 27jähriger Denkpause auch der zweite öffentlich-rechtliche Sender die Zeichen der Zeit erkannt: Die Zuspitzung der nationalen und globalen Konflikte schreit nach politischer Satire.“
Für Sie gelesen:
Georg Schramm, „Lassen Sie es mich so sagen. Dombrowski deutet die Zeichen der Zeit“, Karl Blessing Verlag.
Das Buch gibt allen Schramm-Fans einen guten Überblick über die politischen Themen und Skandale der letzten Jahre und dient gleichzeitig als amüsantes Repetitorium und politischer Gedächtnistest. Allerdings fehlten mit dabei doch schmerzlich die Stimme und der Anblick Schramms in seinen unterschiedlichen Rollen …
Zum Glück gibt’s aber auch noch die im September 2008 aufgezeichnete Doppel-Audio CD „Thomas Bernhard hätte geschossen“, ein Livemitschnitt vom Kabarett-Solo aus dem Pantheon in Bonn.
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Tags: Angela Merkel, Bertelsmann, Bild-Zeitung, Friede Springer, Georg Schramm, Liz Mohn, Neues aus der Anstalt, politisches Kabarett, Urban Priol
Liebe Friederike
Fürwahr, “Schramm ist der Mann”! Alles was Du geschrieben hast kann ich nur bestätigen. Gerne erinnere ich mich noch an einen Abend bei “Sandra Maischberger”. Schramm war dort mal als “normaler” Talkgast, der mit Politikern diskutierte. Ich glaube es waren Lothar Späth und Dohnanyh. Die versuchten ihn als Kabarettisten herunter zu spielen, der von der “realen Politik” keine Ahnung hat. Schramm hat die Beiden souverän wie höflich, aber mit “geschliffenem Säbel” in die Schranken gewiesen. Es war wunderbar. Dieser Mann müsste mal eine Gegenshow zu den “Maybritts und Annes” dieser Welt machen. Ob da ein Politiker sich hintrauen würde? Ich freue mich schon jetzt auf seine nächsten Einsätze. In diesem Sinne. Viel Spaß
[...] zeitgeist-Blog “BECKlog” gibt es Informatives über Georg [...]
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Was ist denn das hier? So eine olle, überholte Kamelle, nicht aktualisiert!
Inzwischen hat Schramm die Quittung für seine “frevelhaften”, ja geradezu
revolutionären Ansichten – auch weil nichts so links, wie alle anderen Kaba=
retisten – erhalten, er mußte im Frühjahr 2010 aus der Sendung ausschei= den! Er behauptet sogar “ohne Druck” seitens des ZDF, das glaube ich nicht!
Wahrscheinlich hate er eine “Schweigeabfindung” erhalten, die ihm verbietet
das ZDF zu kritisieren. Was kann er jetzt noch erreichen, wenn er ca. 180 mal vor jedesmal nur 200 Zuschauern öffentlich auftritt in irgendwelchen kleinen Sälen im Vergleich zu einem monatlichen Millionenpublikum vor dem Fernsehen? Haben Sie seine beiträge über die FED, über unseren verschwundenen Goldschatz gesehen? Seine Rüde, aber sehr berechtigte Abrechnung mit dem “Qualitätsprogramm ” von rtl?
Habe Schramm live gesehen, hier mein Bericht:
Georg Schramm spricht über Bilderberg!
http://lotus-online.de/modules/news/article.php?storyid=210
Ich vermisse Georg Schramm im ZDF sehr! Keiner spricht mir derart aus der Seele.
Auch ich bin überzeugt er wurde bei der Aufräum Aktion im ZDF weggelobt. Schade. Wollen wir hoffen, dass ein mutiger Intendant ihn wieder in ein öffentlich rechtliches Boot holt und ihm die Platform gibt die er verdient hat.