Von Würmern und Störchen

Ein Wurm, sagt man, hat im vergangenen Winter zugeschlagen und viele alte Palmen enthauptet: Da stehen sie, die meterhohen Stämme wie Säulen mit einem Rest Kapitell: Ein Jammer. Wie das Gewürm es geschafft haben soll und ob es wirklich stimmt, ist eine andere Frage, besonders, wie ein Wurm oder mehrer Würmer es anstellen, einen alten Palmenbaum derart zu unterminieren, dass ihm seine Lebenssäfte so abgegraben werden, dass aus seiner Krone nun keine grünen Palmwedel mehr treiben können…?

Die verdorrten Kronen sind jedoch dieses Jahr Schauplatz von etwas Unerhörtem, noch nie Dagewesenem – zumindest können sich die Alten an nichts dergleichen erinnern: Ein Storchenpaar hat einen dieser verwaisten Palmenhochsitze als Nistplatz auserkoren – und das an einem der heißesten Plätze Europas: An der verkehrsreichen Umgehungsstraße einer Kleinstadt im Hinterland der Costa del Sol.

Das Storchenpaar setzt damit ein ungeheuer mutiges, geradezu tollkühnes Zeichen, das dazu angetan ist, Kleinmut, Depressionen und andere Hilflosigkeiten auszutreiben, zumindest bei denjenigen, die sich von seiner An-Mut anstecken lassen können.

Das majestätische Nestbauunternehmen gerade an dieser Stelle bedeutet nämlich nichts Geringeres, als dass dieses tollkühne Paar, Herr und Frau Adepar, sicher sind, dass so viel Regen gefallen ist und noch fallen wird, dass all dieses Wasser, all die Herbizide und Pestizide, die sofort mit Einsetzen des Frühlings unbarmherzig auf alles niedergehen, was das grünt und blüht, soweit verdünnen kann, dass es genügend Frösche und Kröten geben wird, die das überleben, um sich dann anschließend als appetitliche Futterquelle für Adebar und den geplanten Nachwuchs zur Verfügung stellen zu können. Und dass der nahe liegende Fluss dieses Jahr nicht austrocknen wird, bevor noch irgendein Jungstorch geschlüpft ist.

Die Störche müssen es gewusst haben: In der Nacht, die auf den Tag folgte, an dem ich meine Bedenken gegen ihr übermütiges Unternehmen angemeldet hatte, verfinsterte sich der Himmel und was folgte, was nicht ein Regen, sondern eher das Aufreißen eines Schlundes, der Wasser unter einem tosenden Schaaaaahhhh-Laut erbrach. Dies hörte auch am nächsten Tag nicht auf und am darauffolgenden und danach folgenden auch nicht. Sämtliche Talsperren und Wasserreservoirs, die ohnehin schon bis an den Anschlag gefüllt waren, müssen jetzt Wasser ablassen, was selbst kleine, harmlose Bächlein binnen Minuten in gurgelnde, reißende, unpassierbare Geschosse verwandelt.

Über alle dem thront das Storchenpaar. Ich beschließe, mein Auto an der Umgehungsstraße zu parken, um mal nachzusehen. Frau Störchin sitzt in einem schon ansehnlichen Nest und zupft und schnäbelt Ästchen und Gräser zurecht, von ihrem Kopf ist nur ein halber Tennisball zu sehen. Doch dann rauscht es in der Luft und über dem Orangenhain unter dem braunes, vergiftetes Gras verrottet, schwingt sich Adebar herunter.

Was dann folgt ist ornithologisch wohl nicht korrekt, aber doch so geschehen und vor allem gehört: Frau Störchin springt auf, es entsteht ein kurzes Kampfgetümmel und man hört mindestens sechs Sekunden lang ein heftiges Stöhnen oben im Palmennest. Ich bin ob der Geräuschkulisse so überrascht, dass ich vergesse, die Filmfunktion meiner Kamera einzuschalten, aber doch ein paar Schnappschüsse mache. Die Bildersequenz endet mit einem wunderbaren Scherenschnitt des Storchenpaares.

Ich lasse mich anstecken! Nicht von einem lahmen „Yes we can – nur wie und was?“, sondern eher von dem unmissverständlichen „Venceremos“ der Störche: Wir schaffen das auf  jeden Fall!

abgestorbene Palme mit Storchennest

abgestorbene Palme mit Storchennest

Pst - Störche beim Storchen

Pst - Störche beim Storchen

Venceremos!

Venceremos!

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