Mir war bisher völlig entgangen, dass es in Deutschland einen Polit-Thriller-Autor gibt, der gerade sein fünftes Buch veröffentlichte („Das Münchner Komplott. Denglers Fünfter Fall”, Kiepenheuer & Witsch 2009) und dazu einen Ermittler namens Georg Dengler erfunden hat, der Vergleiche mit anderen erfolgreichen Ermittlern der Krimi-Szene nicht zu scheuen braucht.
Dadurch, dass ich gleich mit dem 5. Buch der Dengler-Serie anfing, musste ich mir bald Rechenschaft darüber ablegen, wie wenig ich eigentlich über das Münchner Oktoberfest-Attentat von 1980 wusste, das sich bald zum 30. Mal jährt.
Dieses frühe deutsche „9/11“ scheint heute fast vollständig aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden zu sein, obwohl das sowohl aus menschlichen als auch aus höchst aktuellen Gründen wirklich nicht so sein sollte.
Der schreckliche Bombenanschlag vom 26.9.1980 hinterließ den Eingangsbereich des Oktoberfestes wie ein Schlachtfeld, 13 Menschen starben, über 200 wurden verletzt, 68 Menschen davon schwerst; sie müssen seitdem entstellt oder mit fehlenden Gliedmaßen weiterleben. Nichtsdestotrotz wirkt das Ereignis mit seinen Opfern wie in ein „schwarzen Loch“ versenkt.
Wolfgang Schorlau, so heißt der Krimi-Autor, schreibt hart am Wind, d. h. sehr nah an den Fakten, ohne dass der Plot irgendwie konstruiert wirken würde. Allerdings ist er auch überschaubar gehalten. Allein die Vorstellung, dass die Fakten eben keine Fiktion sind, sondern Teil unserer erst gestern gewesenen Vergangenheit, reichte mir schon als Spannungsfaktor. Da spielte es für mich keine Rolle, dass der Krimi die einzelnen Charaktere nur knapp psychologisch ausgestaltet präsentiert. Oder, dass an einigen Stellen Schorlaus linker Hintergrund ziemlich klischiert daherkommt.
Natürlich habe ich mich gefragt, wie Schorlau an seine detailreichen Kenntnisse der Fakten und Hintergründe kam. Diese Frage wird ganz am Ende des Buches von ihm so beantwortet:
„’Wir haben etwas für Sie, das Sie interessieren wird.’
Die Stimme war bestimmt, sympathisch, aber nicht auf Sympathie aus. Es war eindeutig eine Polizistenstimme. Dies war wahrscheinlich der Grund, warum ich mich auf das Abenteuer einließ. Wir vereinbarten einen Termin am frühen Abend, trafen uns zu dritt, fuhren fast eine Stunde, ohne ein Wort zu reden. Dann gaben sie mir Akten der Sonderkommission Theresienwiese. Ich las bis zum frühen Morgen, die beiden Männer unterbrachen mich selten. Hin und wieder machten sie mich auf einzelne Schriftstücke , Protokolle oder Aktenvermerke aufmerksam. Ich durfte weder Notitzen noch Kopien erstellen. Sie wiesen mich auf Vernehmungen hin, die in den Abschlussberichten nicht auftauchen, auf die vielen Widersprüche in den Ermittlungen. Sie wollten mich auf eine Fährte setzen, das wurde mir bald klar. Zum Schluss verwiesen sie mich auf ein Buch von Ulrich Chaussy: Oktoberfest. Ein Attentat. Im Morgengrauen brachten sie mich zurück nach Stuttgart. Die beiden hatten sich namentlich nicht vorgestellt. Offensichtlich waren sie mit den Ergebissen der Oktoberfestermittlungen nicht einverstanden. Aber ich dankte ihnen: Sie hatten mich tatsächlich neugierig gemacht. Ich besorgte mir Chaussys Buch, eine gründliche und erschütternde Recherche über das Oktoberfestattentat – und hatte einen neuen Fall für Dengler gefunden.“
Der Polit-Thriller über diesen 5. Fall liest sich mit Hochspannung. Ich stellte Vergleiche darüber an, wie sehr sich doch in der deutschen Öffentlichkeit das Bewusstsein und die Wahrnehmung geändert haben. 1980 gab sich eine betäubte Öffentlichkeit noch viel leichter mit oberflächlichen Einzeltäter-Thesen zufrieden. Und 30 Jahre später? Vielleicht ist auch durch diese Krimis eine breitere Öffentlichkeit jetzt bereit, genauer hinzusehen. Wir könnten alle nur davon profitieren.
Die Stadt München (Kulturausschuss) weigerte sich derweil, einem Antrag der Grünen stattzugeben, zum 30. Jahrestag des Attentats eine Broschüre zu verfassen und ein Gedenken abzuhalten. Warum wohl? Scheut man erneute Diskussionen?
Dem Münchner Attentat ging ein weit schrecklicheres voraus: Das im Bahnhof von Bologna mit 80 Toten. Ein Untersuchungsausschuss des italienischen Parlaments förderte jedoch Hintergründe zu Tage, die mit den berüchtigten Geheimoperationen der NATO namens Gladio, der gewünschten „Strategie der Spannung“ und der Benutzung bzw. Schaffung neofaschistischer Gruppen zu tun hatte. Der damalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti bestätigte dies öffentlich. Daraufhin untersuchten die Parlamente vieler europäischer Staaten diese Hintergründe. Nur in einem Land gab es nie einen entsprechenden Untersuchungsausschuss: in Deutschland.
Wolfgang Schorlau ist hochaktuell: einerseits haben sich die Zeiten geändert, andererseits aber auch nicht, nur einige Namensschildchen sind anders geworden, so scheint es.
Ich zieh mir gerade – immer der Reihe nach – Buch eins der Dengler-Krimis rein: „Die Blaue Liste“. Ein Polit-Thriller um das Rohwedder-Attentat. Ich hatte fast vergessen, dass Deutschland so spannend sein kann.
Irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass unsere Welt um so sicherer werden könnte, je mehr Menschen sich mit diesen Themen befassen …
Hier noch ein Link, der das Thema gut zusammenfasst.
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Tags: Georg Dengler, Gladio, Oktoberfest-Attentat, Wolfgang Schorlau