Diffuse Terrorgefahren, Hinweise auf Erkenntnisse, dunkle Geheimnisse, Gemunkel der Nachrichtendienste, Warn und Alarm allenthalben. Angst und Furcht schüren – tagtägliche Dauerübung, Hysterie ersetzt Verstand, Dezenz und Anstand. Die öffentlichen Terrordauerschaumschlägereien ermöglichen Verbrechen, ja sie machen sie zu einem Kinderspiel:
Im März dieses Jahres betrat ein verzweifelter Junkie eine Bonner Bank mit einer zu Hause notdürftig zusammengebastelten Bombenattrappe (GA Bonn, 19.11.2010). Er legte das Bastelwerk auf den Tisch mit den Worten “Sie wissen, was das ist!” und – ja, man wusste, was das war: Ein Terroranschlag natürlich. Daraufhin gab man dem Drogensüchtigen flugs 2000 Euro, der Mann zog ab. Wie lange die Bombenattrappe dort auf dem Bankschalter verweilte und wie viele Stunden sie Angestellte, Kunden und Polizei in Atem hielt, ist nicht überliefert.
Jetzt wurde der Mann vom Bonner Landgericht wegen “schwerer räuberischer Erpressung” zu 2 Jahren und 4 Monaten Haft verurteilt. Die Zivilgesellschaft Deutschlands sieht sich zur Zeit ebenfalls einer schweren und anhaltenden räuberischen Erpressung ausgesetzt: Nicht nur werden Bombenattrappen von allerlei wunderlichem Volk, 80-jährigen Schwiegermüttern, Geheimdienstkrämern, Nachrichtendienstlern usw. in der Weltgeschichte herumgeschickt, sondern auch tagtäglich, ja beinahe stündlich Warnungen ausgesprochen: Warnungen zur Wachsamkeit, Warnungen vor, Warnungen nicht zu und Warnungen überhaupt nicht mehr zu usw. Das zeigt Wirkung: Viele Menschen können überhaupt nicht mehr — ja sie meiden sogar das Denken. Selbst die Polizei nässt ein.
Der Bonner “Posttower”, ein landschaftsgeißlerisches Werbemahnmal von Post und DHL in der einstmals idyllischen Bonner Rheinaue war gestern (22.11.) Mittag Schauplatz von Warn und Alarm. Ein junges Pärchen (Kofferbomber?) hatte zwei Koffer (mit Bombenattrappen?) im Posttower (Terroranschlagsziel?) abgestellt und waren zu DHL gegangen (alles nur Tarnung?). Irgendjemand hatte das beobachtet und sofort die Polizei alarmiert. Das Gebäude wurde großräumig abgesperrt, Viertel in der Nachbarschaft samt einem Kindergarten vollständig evakuiert, Hubschrauber kreisten stundenlang: Sie wissen schon, die volle Terrordröhnung. Was in dem Koffer drin war? Na Klamotten natürlich. Keiner kam auf die Idee, einmal das junge Pärchen zu fragen.
Doch zurück zur schweren, anhaltenden, räuberischen Erpressung der Gesellschaft: Das Volk soll ob der gefühlten Bedrohungslage erneut auf Rechte verzichten, sogar auf verfassungsmäßig garantierte Rechte. Im Folgenden eine Auflistung einiger gefühlten Erpresser samt einer Aufstellung ihrer Forderungen an uns:
- Einschränkung der Pressefreiheit
- Einsatz der Bundeswehr im Inneren
- Vorratsdatenspeicherung trotz Verbot durch das BVG
- Neue Mammutbehörde “Bundeskriminalpolizei”
- Neue Anti-Terror-Eingreiftruppe
Forderung nach Einschränkung der Pressefreiheit
Die (im Grundgesetz verankerte!) Pressefreiheit soll eingeschränkt werden: Siegfried Kauder (CDU), der Vorsitzende des Rechts(!)ausschusses im Bundestag, möchte bei Terrorwarnungen die Berichterstattung einschränken. Bei einer permanenten diffusen Bedrohungslage würde das bedeuten, dass auch die Berichterstattung permanent nur noch diffus und bis auf Weiteres eingeschränkt würde.
“‘Die Presse muss dazu verpflichtet werden, sich zurückzuhalten, wenn die Gefährdungslage wie jetzt hoch ist’, sagte Kauder der ‘Saarbrücker Zeitung’. ‘Wenn die Presse darüber berichtet, welche Orte besonders gefährdet sind, dann kann das unter Umständen ein Anreiz für Terroristen sein.’ Solche meist geheimdienstlichen Erkenntnisse seien nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, meinte der CDU-Politiker.” (Vgl. Spiegel v. 23.11.2010)
Anlass für Kauders öffentliche Forderung war ein Bericht des Nachrichtenmagazins über einen angeblich geplanten Terroranschlag im Reichstag gewesen.
“Seine Haltung habe er auch in der Sitzung der Unionsfraktion am Montag deutlich gemacht, erklärte Kauder. Vorstellbar seien gesetzliche Regelungen oder aber die Einführung einer Selbstverpflichtung der Medien, dass über bestimmte Erkenntnisse nicht berichtet werde. ‘Wir müssen da sensible Lösungen finden’.”
Abgesehen vom Realitätsgehalt solcher “Terrorwarnungen” – Kauder erwartet also offensichtlich in Zukunft, dass Medien, wenn ihnen Erkenntnisse über einen bevorstehenden Anschlag, sagen wir mal im Bahnhofsklo von Eigentingen vorliegen, nicht darüber berichten und ahnungslose Besucher, unbescholtene Bürger, weiter den nunmehr hochexpolsiv-exponierten Ort besuchen?!
“Der Deutsche Journalistenverband (DJV) wies die Überlegungen Kauders zurück. ‘Es gibt überhaupt keine Gründe, die Pressefreiheit in Deutschland einzuschränken’, sagte DJV-Sprecher Hendrik Zörner. Eine ‘diffuse Terrorgefahr’ könne einen solchen Schritt nicht rechtfertigen. Die Freiheit der Presse sei in der Verfassung garantiert und könne selbst dann nicht eingeschränkt werden, wenn unter Umständen mit einem terroristischen Anschlag gerechnet werden müsste.”
Kauders Idee ist schlicht verfassungswidrig, und es stellt sich die Frage, wer unsere Freiheit mehr bedroht: Gefühlter Terrorismus oder tatsächliche Politiker? Dabei gibt es längst einen Pressekodex, auf den sich Medien für besondere Situationen selbst verpflichtet haben. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) widersprach Kauder denn auch deutlich: “Wer die Sicherheitslage zum Anlass nimmt, über die Einschränkungen von Grundrechten zu reden, disqualifiziert sich selbst” (GA Bonn, 23.11.2010).
Die Wunschliste geht weiter:
Forderung nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inland
Vor dem Hintergrund der “akuten Terrorgefahr in Deutschland” fordert der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Klaus Jansen, auch die Bundeswehr “zum Schutz der Bevölkerung im Inland einzusetzen”. In der “Neuen Osnabrücker Zeitung” wurde BDK-Vorsitzender Klaus Jansen gestern folgendermaßen wiedergegeben: “Wir müssen davon ausgehen, dass der polizeiliche Ausnahmezustand durch die akute Terrorgefahr bis weit in das nächste Jahr dauern wird.’ Das sei mit dem vorhandenen Personal aber nicht durchzuhalten. Jansen schlug vor, ‘insbesondere auf die Feldjäger der Streitkräfte zurückzugreifen, weil diese auch polizeilich geschult sind.’”
Der Vorschlag ist verfassungswidrig und verstößt gegen bestehende Gesetze.
Mit seine Forderung provozierte Jansen umgehend den Widerstand der Polizeigewerkschaft . Deren Vorsitzender Bernhard Witthaut stellte klar: Keine Anti-Terror-Einsätze der Bundeswehr im Inland!
“‘Die Bundeswehr hat im Inneren nichts verloren’, sagte Witthaut am Dienstag am Rande eines GdP-Bundeskongresses. Er bezog damit ausdrücklich Stellung gegen entsprechende Wünsche des Bundes der Kriminalbeamten (BDK). ‘Wir brauchen keine Feldjäger vor dem Reichstag oder in anderen Bereichen. Das ist Aufgabe der Polizei.’ Witthaut betonte, ‘Panikmache und Hysterie’ seien jetzt nicht hilfreich.”
Forderung nach erneuter Einführung der Vorratsdatenspeicherung trotz Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Vor dem Hintergrund der “diffusen” oder auch “akuten Terrorgefahr” in Deutschland wird auch an der Schraube “Vorratsdatenspeicherung” wieder gedreht. Hier eine Liste des “Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung”, welche Abgeordneten für das verfassungswidrige Gesetz gestimmt hatten. Nachdem, bisher einmalig, 34.000 Menschen Verfassungsbeschwerde eingelegt hatten, gab das BVG im März dieses Jahres definitiv den Klägern Recht und stärkte das Post- bzw. Fernmeldegeheimnis mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Schutz der Privatsphäre der Bürger gegenüber einer anlasslosen Datensammelwut des Staates. Die Bürger hätten Anspruch auf die “Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme”, so das Gericht. Seitdem dürfen Telefon- und Internetdaten nicht mehr ohne konkreten Verdacht für sechs Monate gespeichert werden.
Schon einen (!) Tag nach den diffusen “Terrorwarnungen” erfolgte der erneute Vorstoß gegen verfassungsmäßig garantierte Bürgerrechte:
“Wer sich jetzt noch gegen die Vorratsdatenspeicherung wehrt, hat die Bedrohungslage nicht verstanden”, so dröhnte CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl, Jurist (!) und Reserveoffizier in der ARD. Und weiter: “Die Polizei der Länder soll Telefonate und E-Mails vorbeugend überwachen dürfen, forderte auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Auch Online-Durchsuchungen von Computern sollten erlaubt werden.
Unterstützung erhielten die Unionspolitiker aus den Reihen der SPD. Berlins Innensenator Ehrhart Körting sowie der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger [SPD] sprachen sich ebenfalls für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung aus – wenn auch mit Einschränkungen.”
Alle genannten Politiker stellten sich damit klar gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Nachdem der in Sachen Terrorhysterie und Kippung von Grundrechten bis dato eher zurückhaltende Innenminister Thomas de Maizière immer mehr einknickt, ist nunmehr nur noch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ein Fels in der Brandung bzw. ein missliches Hindernis für alle diejenigen, denen unsere Verfassung offensichtlich nicht viel bedeutet. Die Ministerin legte sich bisher strikt quer.
“Die Vorratsdatenspeicherung bringe nicht mehr Sicherheit und Aufklärung, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Abgesehen davon sei sie ,vollumfänglich für verfassungswidrig’ erklärt worden. Die Ministerin plädierte im ARD-,Morgenmagazin’ stattdessen für einen anlassbezogenen Zugriff auf bereits bestehende Daten” (vgl. Focus).
Forderung nach einer neuen Anti-Terror-Eingreiftruppe
Anfang April dieses Jahres (vgl. GA Bonn v. 23.11.2010) hatte Bundesinnenminister de Maizière unter Leitung des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Eckart Werthebach eingesetzt, die eine “Neuordnung der Sicherheitsarchitektur” erarbeiten sollte. Wie z. B. Focus schon am 20.9.2010 berichtete, stellt sich die Kommission u. a. vor, aus der Spezialeinheit GSG9, der Eliteeinheit zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität, eine neue Anti-Terror-Eingreiftruppe unter neuem Kommando zu bilden. Experten anderer Bundesbehörden sollen hinzustoßen und in der neuen Elitetruppe zusammengefasst werden. Auch die Hubschrauberstaffel der Bundespolizei sowie Observationsteams und Zugriffspezialisten des Zolls könnten zu der neuen Behörde gehören.
Forderung nach einer neuen Megabehörde “Bundeskriminalpolizei”
Die Werthebach-Kommission regt ebenfalls die Einrichtung einer neuen Superbehörde an: Die Errichtung einer “Bundeskriminalpolizei” aus Bundespolizei, Bundekriminalamt (BKA) und Teilen des Zolls. Vorbild: FBI. (Daneben schlägt die Kommission auch die Einrichtung einer neuen Bundesfinanzpolizei vor allem unter Beteiligung des Zolls vor.)
Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Witthaut lehnte eine derartige Umstrukturierung der Polizeidienste des Bundes ab. “‘Wir brauchen das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter in den Ländern. Aber wir brauchen keine Bundeskriminalpolizei.’ Eine neue ‘Mammutbehörde’ sei überflüssig, ‘weil die kaum noch zu steuern ist’. Die Defizite bei der Führung derartiger Behörden seien erfahrungsgemäß am größten. Die Gründung einer Bundesfinanzpolizei nannte Witthaut hingegen sinnvoll. ‘Solche Vorschläge machen wir seit längerem.’” (vgl. Neue Osnabrücker Ztg. a. a. O.)
Die hier aufgelisteten Anschläge gegen unser Grundgesetz sind sicherlich nicht vollständig, es kommen tägliche neue hinzu. Eins ist jedoch klar: Wir dürfen uns von Terror, egal ob wirklich oder unwirklich, diffus oder konkret, angedroht oder angedeutet, nicht erpressen lassen.
Das “ceterum censeo” der Aktualität muss heißen: Wir dürfen uns von Terror nicht beeindrucken lassen. Denn: “Diejenigen, die für ein wenig vorübergehende Sicherheit grundlegende Freiheiten aufgeben, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.” (Benjamin Franklin, US-Staatsmann, Wissenschaftler, Schriftsteller 1755).
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Du bist Terrorist — das Video
Merkel-Video: Überwachung muss man einfach machen
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Tags: Hans-Peter Uhl, Pressefreiheit, Siegfried Kauder, Terror, Vorratsdatenspeicherung
Zum Kapitel: Forderung nach Einschränkung der Pressefreiheit
Es glaubt doch wohl keiner im Ernst, dass sich ein Siegfried Kauder um das Wohlergehen gemeiner Bürger einen Dreck schert.
“…ein landschaftsgeißlerisches Werbemahnmal von Post und DHL…”
Eine derart gelungene Wortwahl ist das Einzige, was man der vorherrschenden Stimmung entgegenhalten kann. Großartig, Frau Beck!
Aber wieso bloß “Vorratsdatenspeicherung”? Wieso nicht gleich das ganze Internet eindampfen? Wieso nur immer halbe Sachen?
Hallo,
damit nicht dieser treffende Artikel um die Lage der Nation wegen eines blöden Formfehlers von den Schergen der Staatsdiener, für unverwertbar erklärt wird, solltest du unbedingt aus dem “Lothar” einen “Thomas” machen. :-)
Alles in allem ein gelungenes Werk. Wegen des Teilaspektes “Vorratsdatenspeicherung” würde ich dich gerne zu meinem Weblog “Des Schwachsinns fette Beute” einladen, dort gibt’s dann zum Nachtisch die brisanten Details, die von den VDS- Fans verschwiegen werden…
Gruß,
tb
danke noch für den Hinweis, aber ich finde den Lothar grad nicht, manchmal lösen sich Fehler wohl von selbstg auf. Grüße!