Am Wochenende meldete sich Bert Rürup, jahrelang Chef der fünf Wirtschaftsweisen in Sachen Eurobonds und Transferunion zu Wort: „Jetzt die Wahrheit sagen. Umstrittene Eurobonds sind dem früheren Wirtschaftsweisen zufolge längst beschlossene Sache.“ (GA Bonn vom 27./28.8.2011).
Damit folgt Rürup einem bereits bekannten Muster: Zunächst wird der Wähler, die Öffentlichkeit, das Volk getäuscht, es wird beschwichtigt, abgewiegelt, abgestritten. Dann, nach einer Zeit, wird dazu aufgerufen, dem Volk reinen Wein einzuschenken, die Wahrheit zu sagen.
Derjenige, der „mutig“ die Wahrheit überbringt, umgibt sich wie selbstverständlich mit dem Nimbus des Anständigen, ja Heldenhaften. Die Medien erliegen regelmäßig seinem Charme.
Jedoch, es handelt sich hier in mehrfacher Hinsicht um eine Travestie und eine ungeheure Dreistigkeit:
Da wird jahrelang gelogen und beschwichtigt. Die Blaupause scheint für Deutschland das Ongaschemong in Afghanistan zu sein: Brunnenbohren, edle Verteidigung der Menschen- und Frauenrechte, eine militärisch gesteigerte Form der Entwicklungshilfe, alles – nur nicht Krieg findet dort statt, schon gar nicht ein Angriffskrieg. Die Soldaten dort versterben nur durch Unfälle oder böswillige Einheimische, sie fallen nicht. „In Ausübung ihrer Dienstpflicht“, wie am Bendlerblock in Berlin zu lesen ist. Nicht in Verteidigung ihres Vaterlandes, wie im Grundgesetz gefordert wird. Als nach Jahren der Öffentlichkeitstäuschung und des verbalen Lavierens ein nunmehr zurückgetretener Verteidigungsminister von „kriegsähnlichen Zuständen“ spricht, bricht ohrenbetäubender Beifall los: Ein Held ist erschienen, ein Wahrheitsheld, ein mannhafter Minister der wahren Worte. Mutig, mutig, einfach tollkühn.
Ob dieses plötzlichen Hereinbrechens der Wahrheit wie betäubt und geblendet von ihrem stahlenden Licht, lauschen wir dankbar den Worten der nunmehr zur Wahrheit Bereiten unter dem Beifall der Medien und vergessen darüber Jahre der Unwahrheit und Lüge, der Vertuschung und Vernebelung, der Wählertäuschung und Volksverarsche gerne.
Zum Thema Eurobonds, einer europäischen Haftungs- und Transfergemeinschaft, sagt Rürup:: „Solche von der Ländergemeinschaft garantierten Papiere werden kommen müssen, wenn man den europäischen Integrationsprozess vorantreiben will. Wir sollten nämlich nie vergessen, dass der Euro nicht als ökonomisches Projekt eingeführt wurde, sondern als politisches Vehikel , um diesen Integrationsprozess voranzubringen.“
Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen aller EU-Länder, die den Deutschen mit ihrer guten Bonität bis zu 40 Milliarden Mehrausgaben durch höhere Zinsen im Jahr kosten könnten, sind also laut Rürup längst beschlossene Sache. Was für ein Demokratieverständnis offenbart sich hier?
Da fragt man sich, welche Politiker zur Zeit einfach nur noch nicht den Mut zur Wahrheit à la Rürup gefunden haben? Die Kanzlerin, die in den Eurobonds den falschen Anreiz sieht und all die anderen Eurobond-Leugner?
Der Euro war also nie ein ökonomisches Projekt? Wie konnte den Deutschen dann bis zu seiner Einführung 1998 jahrelang vorgegaukelt werden, er werde so stabil, ja stabiler als die D-Mark sein?
632 von 672 Bundestagsabgeordneten stimmten für die Einführung des Euro, nur 35 dagegen. Zwölf Jahre später steht die Gemeinschaftswährung am Abgrund – und das ist auch gut so. Denn sie ist ja nur ein „Vehikel“.
Helmut Kohl, der sich unverdrossen als großer, alte Staatsmann feiern lässt – betrog er ungeniert in Sachen Euro?
„Ich bin überzeugt, dass die Erfolgsgeschichte der D-Mark in unserem Land mit einer Erfolgsgeschichte des Euro weitergeht. Die Vorzüge, die wir mit der D-Mark erarbeitet haben und an der D-Mark – zu Recht – schätzen, gehen nicht verloren. Sie werden in ein größeres Ganzes zum Vorteil Deutschlands und zum Vorteil Europas eingebracht.“
Nach Rürup wäre das damals alles reine Taktik gewesen, um das politische Vehikel Euro zu bekommen. Waren die Stabilitätsversprechen also eine bewusste Täuschung zum Wohle höherer, hehrer EU-Ziele?
Da der Euro nie ein ökonomische Projekt war – wie konnte man jemals Stabilität versprechen? Setzten die damaligen Verantwortlichen damit ganz bewusst alles aufs Spiel, was sich die Menschen seit dem 2. Weltkrieg wieder als ökonomische Sicherheit hart erarbeitet hatten? Wurde deshalb ganz bewusst nicht auf die Warnungen vieler Wirtschafts- und Währungsfachleute gehört?
SPD-Mitglied Rürup ist seit 2009 Chef des in die Rede gekommenen Finanzdienstleisters AWD und etablierte im selben Jahr auch noch eine Beratungsgesellschaft zusammen mit Carsten Maschmeyer: die MaschmeyerRürup AG.
Dass hier offenbar keine falsche Scheu bestand, Kleinanleger um ihr Erspartes zu bringen, drang mittlerweile an die Öffentlichkeit. Die ARD widmete sich dem Thema: “Abzhocker Maschmeyer. Liebling der Politik, Freund des Bundespräsidenten” vom 8.9.2010 in ungewöhnlich scharfer Form.
Die Schäden und Einbußen, die durch dortige Beratungen mutmaßlich zustande kamen, muten gegenüber dem, was Rürup offenbart, allerdings wie Petitessen an. Doch es geht noch weiter mit den Rürup-Enthüllungen im Interview mit dem Bonner GA:
Frage: Auch ausgewiesene Europafreunde misstrauen den Eurobonds.
Antwort: „Mag sein. Aber viele wollen nicht wissen: Es gibt sie bereits. Auf dem Eurogipfel hat man sich auf eine Reform des europäischen Rettungsschirns verständigt. Er soll zu einem europäischen Währungsfond werden, der unter anderem auch eigene Anleihen ausgeben kann. Und da diese Institution von den Euroländern getragen wird , sind deren Anleihen ‘Eurobonds light’. Dass dies bislang nicht offensiv kommuniziert wird, mag auch daran liegen, dass diese Beschlüsse noch von den nationalen Parlamenten abgesegnet werden müssen.“
Mit anderern Worten, nicht „offensiv kommunizieren“, aus der Diskussion halten bzw. versuchen, zu verheimlichen: die Parlamente als Hindernis?
Im Spiegel-Interview (35/2011) mit Joschka Fischer, macht dieser klare Ansage: Fischer bejaht die Transferunion uneingeschränkt. Und: „Am Ende müssen die Vereinigten Staaten von Europa stehen.“ Er versteht Merkels Salami-Taktik nicht: „Ich verstehe nicht, warum die Kanzlerin die Politik der kleinen Schritte verfolgt, warum sie nicht längst Klartext geredet hat. Sie hätte schon vor einem Jahr dem deutschen Volk erklären müssen, in welche Richtung sich Europa entwickeln muss: dass wir mehr Europa brauchen, dass es dabei entscheidend auf Deutschland ankommt und dass wir auch etwas dafür zahlen müssen, weil wir am Ende davon propfitieren.” Und: „Ich hoffe, dass die jetzige Generation durch die Krise zu ihrem Glück gezwungen wird.“
Dass ist also die EU-Demokratie der Fischermen & Friends: Dem Volk erklären, was Sache ist, Klartext reden und es zu seinem Glück zwingen, durch die Krise.
Und was, wenn es nicht will?
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Tags: Bert Rürup, Eurobonds, Joschka Fischer, Transferunion
Angela Merkel
hat der Bild am Sonntag ein Interview gegeben und dabei Eurobonds eine klare Absage erteilt: “Eurobonds sind das völlig falsche Mittel, um die Krise zu bewältigen.” http://www.facebook.com/AngelaMerkel/posts/263404373683476
Wenn durch Eurobonds die Zinslast aller EU-Mitgliedstaaten sinkt, dann fließt weniger EU-Steuereinnahmen an die Kapitalgeber.
Dadurch entstehen allerdings keine Wachstumsimpulse, um aus der Verschuldung herauszuwachsen.
Die EU ein politisches Produkt, um das Machtstreben einzelner Personen mit zivilen Mitteln zu gestalten ist besser als Krieg. Wenn jemand die Macht will, sollte er/sie über das Warum und Wie aufklären. Es ist nicht nur eine Frage vom Anstand sonder auch der Teilhabe.
Wieso sollte das Volk nicht wollen?
Die Eurobonds werden der EU und Deutschland helfen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Ohne die EU wird Deutschland auf dem Weltmarkt an Bedeutung verlieren und als Industrie- und WIrtschaftsstandort an Attraktivität.
Das will das Volk ganz sicher nicht. Also wieso keine Vereinigten Staaten von Europa und Euro-Bonds?