Nachlese zur Münchner Sicherheitskonferenz (3). Apocalypse now?

Am vorletzten und letzten Tag der Münchner euro-transatlantischen Sicherheitskonferenz gab es noch ein besonderes grelles „Highlite“: Der US-Senator Joseph „Joe“ Lieberman bekam von Bundesaußenminister Guido Westerwelle bzw. von Wolfgang Ischinger gleich zwei  Preise verliehen: 1.Das große Bundesverdienstkreuz mit Stern und 2. die Ewald-von-Kleist-Medaille (nach dem Gründer der Konferenz 1962 benannt, damals noch „Wehrkundetagung“). Wieso fiel die Wahl ausgerechnet auf Lieberman?

Wolfgang Gerhardt, Joseph Lieberman and Martin Zeil, auf der Münchner Sicherheistkonferenz (Bildquelle: Frank Plitt)

Wolfgang Ischinger nannte als Begründung, er sei eine „model transatlantic figure“. Er sei ein „true friend“ der Münchner Sicherheitskonferenz und habe über Jahre die US-Delegation angeführt und sich über einen langen Zeitraum für die deutsch-amerikanischen Beziehungen maßgeblich eingesetzt. Gibt es da noch mehr?

Der Obama-Mentor Lieberman ist formal ein US-Demokrat, real jedoch ein neokonservativer Politiker mit falkenhaften außenpolitischen Ansichten. In die Annalen der Münchner Konferenz ging Lieberman 2010 ein, da er sich damals mit seinem Auftritt eine Anzeige wegen Auftstachelung zu einem Angriffskrieg einhandelte. Lieberman hatte auf der Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren Teheran mit einem Militärschlag gedroht („Der Standard“ vom 6.2.2010):

Bundesverdienstkreuz mit Stern für Joseph Lieberman, re. Außenminister Westerwelle (Bildquelle: Frank Plitt)

„,Wir müssen uns entscheiden: Entweder für harte Wirtschaftssanktionen, damit die Diplomatie funktioniert, oder wir stehen vor militärischem Eingreifen‘, sagte Lieberman am Samstag bei der Münchner Sicherheitskonferenz. […] Der US-Spitzenpolitiker verwies darauf, dass die militärische Führung der USA entsprechende Pläne bereits für den Fall bestätigt habe, dass es nicht zu einer politischen Lösung komme. ‚Niemand will, dass das passiert. Aber wenn wir nicht gemeinsam und stark handeln und wenn wir nicht mehr tun, als nur zu reden, dann wird genau das passieren.‘“

Der Blogger Martin Pausch erstattete daraufhin Anzeige:
Diese Anzeige ist heute Abend per Mail bei der Staatsanwaltschaft Dortmund eingegangen:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit möchte ich Strafanzeige gegen US-Senator Jo Lieberman stellen, da von unserem Boden nie wieder ein Krieg erklärt oder vorbereitet, bzw. ein Krieg gestartet und auch nicht angedroht werden darf. Dieses drohte US-Senator Jo Lieberman in München dem Iran an.

Ich kann verstehen, in welcher Zwickmühle ich die Staatsanwaltschaft mit dieser Anzeige bringe, doch damit verstösst Herr US-Senator Jo Lieberman, selbst gegen die Auflagen die, die USA nach dem zweiten Weltkrieg an Deutschland gestellt haben.

Ich bitte an Sie ein Verfahren gegen US-Senator Jo Lieberman in Betracht zu ziehen.

Mit freundlichen Grüßen, Martin Pausch“

Pausch begründete wie folgt: Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) zum Angriffskrieg (§ 80) aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

Lieberman ist Bellizist, war lauter Kriegsrufer gegen den Irak, ist gern präsent im TV-Kanal von Fox News, der großen finanziellen Anteil an seiner Wahlkampagne 2006 hatte, gehört der US Israel-Lobby an. Er ist bekannt für seine Befürwortung von öffentlicher Kameraüberwachung und der Überwachung des Cyberspace: 2010  brachte er einen Gesetzesvorschlag ein: “Protecting Cyberspace as a National Asset Act of 2010″ – den meisten eher als das “Kill Switch-Gesetz” bekannt. Wenn es abgesegnet würde, hätte der amerikanische Präsident Vollmachten, das Internet im “Notfall” abzuschalten. Weiterhin brachte Lieberman einen Gesetzesvorschlag ein, der Aktivitäten wie die von Wikileaks als gesetzeswidrige Spionage verfolgen sollte.

Gegen Liebeman besteht der Verdacht von Wahlunregelmäßigkeiten, vorsichtig ausgedrückt: Bei seiner Wahl im US-Bundesstaat Conneticut 2000 und 2006  brodelte die Gerüchteküche, als seine Gegenkandidaten in beiden Jahren mit der exakt gleiche Stimmenzahl gegen ihn verloren nämlich mit: „exactly 448,077 votes!“ Statistisch wurde dies als unmöglich angesehen und Rufe nach einer Untersuchung der Wahlen waren zu hören.

Lieberman und seine Ehefrau Hadassah sind orthodoxe Juden und besuchen die Kesher Israel in Washington. Das Ehepaar steht einer besonderen Glaubensrichtung nahe: der Sekte der Lubawitscher Chassiden. Diese wurde ursprünglich in Weißrussland gegründet, ihr prominentester Vertreter war der 1994 in New York verstorbene Rebbe Menachem Mendel Schneerson.

Problematisch ist insbesondere, dass die Chabad-Sekte stark messianisch ausgerichtet ist, d. h. sie strebt aktiv danach, ein nahöstliches Szenario “Gog gegen Magog” herbeizuführen, wo in einer endzeitlichen Schlacht „Armageddon“ die Geburtswehen zur Ankunft des Messias (Moshiach) eingeleitet werden.

Ist man Privatmann, so mag dieser persönliche religiöse Hintergrund nicht weiter ins Gewicht fallen. Ist man jedoch Spitzenpolitiker wie Joseph Liebermann, so sollte die Tatsache seines Bekenntnisses zu Chabad schon eine Rolle in der öffentlichen Diskussion spielen:

Joe Liebemann, Menschem Schneerson bei einer Beschneidungszeremonie (Courtesy: Ukrainian Archives)

Das nebenstehende Bild zeigt Senator Joe Lieberman mit dem Lubawitscher Rebben Schneerson einige Jahre vor dessen Tod.

Joseph Liebermanns zweite Gattin Hadassah ist ebenfalls bei Chabad aktiv:  Bei ihrer Rede zum Abschlussbankett des 22ten internationalen Jahreskonferenz  von Chabad Lubavitch drängte Hadassah Lieberman – Ehefrau des US-Senators von Connecticut– die tausenden von Führern jüdischer Gemeinden dazu fortzufahren, starke Verfechter der Stärkung ihres Glaubens zu sein [… ] Die Welt braucht Führer, ein jeder auf seine eigene, einzigartige Weise“, sagte sie zu den Anwesenden in einem riesigen Ballsaal des New Yorker Hilton Hotels. (Chabad-org. v. 11.2.2010).

Joe Lieberman ist zudem Autor eines religiösen Buches über die Bedeutung des Sabbats. Am 2.2.2012 schrieb Lieberman darüber auch in der „Jüdischen Allgemeinen“: „Für mich ist die Einhaltung der Schabbatvorschriften eine der reinsten und tiefsten Freuden im Leben. Der Lubawitscher Rebbe Menachem Mendel Schneerson schrieb einmal: ‚Am Schabbat hören wir auf, mit der Welt zu ringen, nicht weil wir am Schabbat von unserer Aufgabe, die Welt zu vervollkommnen, freigestellt sind, sondern weil am Schabbat die Welt bereits vollkommen ist. Wir treten in Beziehung mit dem, was vollkommen und unveränderlich ist in ihr.‘ Und: „Der Talmud enthält eine wunderbare Lehre, nach der der Messias kommen und die Menschheit erlösen wird, wenn alle Menschen zweimal in Folge den Schabbat einhalten.“

Auf einem Chabad-Blog wird der US-Senator ausdrücklich für seine Bemühungen um den Sabbat gelobt:
Wie schon auf diesem Blog erwähnt wurde, dämmert die messianische Ära herauf. So wie unsere Rabbis uns gelehrt haben, würde der Moishiach ankommen, wenn wir alle zwei Shabbosos hintereinander einhalten. Vielleicht ist so ein Buch eines hochrangigen Regierungsbeamten ein notwendiger Schritt, um dieses Ziel zu erreichen.”

Die Zusammenarbeit zionistischer US-Organisationen mit fundamentalistischen US-Evangelikalen bzw. christlichen Zionisten ist ein Phänomen, was sich Europäer in der Regel nur schwer vorstellen können. In Amerika ist es jedoch eine weit verbreitete Überzeugung, dass wir in „Endzeiten“ leben, die entscheidende Schlacht in Nahen Osten, genauer gesagt in Israel stattfinden soll und dann der Messias wiederkehre und seine Jünger und Getreuen höchstpersönlich gen Himmel aufheben werde.

Im Juli 2008 sprach Lieberman auf der Jahreskonferenz der mächtigen Organisation “Christians United for Israel” (CUFI; dt.: Christen für Israel vereint). Im Juli des darauf folgenden Jahres erhielt der US-Senator von John Hagee, dem CUFI-Vorsitzenden den “Defender of Israel Award” (=Verteidiger-Israels-Preis). Pastor Hagee, der Gründer und Führer der “Christen-für-Israel-Organisation” sorgte in der Vergangenheit für Stirnrunzeln mit Bemerkungen wie: „Die Katholische Kirche ist die große Hure“ und der Behauptung, dass Gott Adolf Hitler gesandt habe, um die Juden nach Israel zu bringen.vgl. “Jerusalem Post” 23.7.2008

Johne Hagee, evangelikaler Pastor u. CUFI-Gründer (Bildquelle: unbekannt

John Hagee schrieb in seinem Buch „Jerusalem Countdown“ (man beachte den Armageddon orientierten Titel) „Dann sandte Gott die Jäger. Der Jäger ist derjenige, der sein Ziel mit Gewalt und Schrecken verfolgt. Niemand konnte die Schrecken des Holocaust erahnen, aber Gewalt und Schrecken Hitlers und der Nazis brachten das jüdische Volk zurück in die einzige Heimat, die Gott für die Juden beabsichtigt hatte – Israel. Ich stehe verblüfft vor der Präzision der Worte Gottes und ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Ich bin vor Ehrfurcht ergriffen und bewundere seine grenzenlose Liebe zu Israel und dem jüdischen Volk und Seine göttliche Bestimmtheit, dass sein Versprechen, das er Abraham, Isaak und Jakob gab, Wirklichkeit wurde.“

Andernorts wäre der messianisch-evangelikale Pastor ein öffentliches Ärgernis, das man erdulden und übergehen würde. In den USA erhält er jedoch dadurch Bedeutung, dass einflussreiche Politiker à la Lieberman, die in ihren politischen Zielen eine große Schnittfläche mit Hagee erkennen, seiner Organisation die Hand reichen.

Anlässlich der Preisverleihungszeremonie für Lieberman 2009 sagte Hagee dem israelischen Premier Netanyahu via Satellitenschaltung: “50 Million Christen unterstützen Israels souveränes Recht zu wachsen und Siedlungen zu bauen, so wie es das für richtig hält und möchten, dass es sich nicht dem Druck der Regierung der Vereinigten Staaten beugt.“ Das Haupthindernis für Frieden im Nahen Osten sei nicht, dass Israelis auf der West Bank lebten, sondern das Regime in Teheran. Anlass der scharfen Kritik Pastor Hagees war Obamas Forderung nach einem Stopp des Ausbaus illegaler Siedlungen auf Palästinenserland gewesen.

Man würde Lieberman herzlich gerne mit seinen religiösen Überzeugungen alles Gute wünschen, seine aktuelle Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz auf der Münchner Sicherheitskonferenz ruft jedoch eine große Gefahr mit aller Deutlichkeit erneut ins Bewusstsein: Das Problem einflussreicher messianischer evangelikaler und zionistischer Gruppierungen, welche die Endzeit und den Endkampf „Gog gegen Magog“ herbeisehnen, um die Ankunft bzw. Wiederkunft des Messias zu erleben und damit unversehens einen Weltenbrand entfachen können.

Denn sie Treffen im Iran auf einen ebenso ausgeprägten Mahdi-Glauben, der ebenfalls in endzeitlichen Dimensionen denkt. Der iranische Präsident Ahmadineschad versäumt keine Gelegenheit, öffentlich für die Ankunft des Mahdi zu beten. Der Münchner Historiker Wolfgang Eggert warnt schon seit geraumer Zeit vor dieser brandgefährlichen Konstellation. Im Internet hat er eigens eine Petitionsplatform namens „Apocalypse No“ eingerichtet.

Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes mit Stern an den messianischen Chabad-Anhänger Joe Lieberman in München ist daher das völlig falsche Signal.

Es ist auch deswegen ein tragischer Missgriff, da wir Deutschen ja bekanntlich aufgrund unserer verhängnisvollen Geschichte, so werden unsere Politiker landauf landab nicht müde zu betonen, eine besonderer Verantwortung für Israel tragen.

Daher müsste es für uns Deutsche oberste Priorität haben, denjenigen Einhalt zu gebieten, die Iran mit einem Erstschlag drohen. Die vorhersehbare Reaktion des in die Enge getriebenen Landes, dass bisher noch nie in seiner Geschichte ein anderes Land angegriffen hat, wäre vermutlich ein Racheakt gegen Israel.

Endzeitliche Messianisten würden jubeln – das israelische Volk jedoch könnte vor seiner Vernichtung stehen und – horribile dictu – erneut hätten Deutsche dazu die helfende Hand gereicht.

— Anzeigen —


Tags: , , , , ,

2 Antworten zu “Nachlese zur Münchner Sicherheitskonferenz (3). Apocalypse now?”

  1. Frank Plitt sagt:

    Sehr geehrte Frau Friederike Beck,

    ich bitte Sie gemäß den Urheberrechtshinweisen der MSC München bei dem zeigen der Bilder auch die Namen der Fotografen zu nennen.
    Hier wird nur die MSC genannt, dass ist an dieser Stelle nicht richtig.

    Mit freundlichen Grüßen
    Frank Plitt

  2. Friederike Beck sagt:

    Sehr geehrter Herr Pliit, für Ihren Hinweis bin ich sehr dankbar: Ich habe die beiden Bildunterschriften von Bildquelle: MSC in Bildquelle Frank Plitt geändert. Ich hatte beim Schreiben des Artikels seinerzeit nur auf der MSC-Hompage die Veranstaltungen–”Top News” durchgelesen. Dort sind die Bilder ohne weitere Angabe eingestellt. Ich hatte daher wenigstens eine Minimalangabe machen wollen. Nochmals vielen Dank und freundliche Grüße Friederike Beck

Eine Antwort hinterlassen