Fußball-EM: Alles rund?

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist voll im Trend: Fußball ist längst nicht mehr nur ein schönes, kampfbetontes, doch letztlich unwichtiges Spiel, sondern hochpolitisches Staatsgeschäft: Friedrich stellte sich demonstrativ schützend vor Nationalspieler Mesut Özil, der Angriffen im Internet schutzlos ausgeliefert sei. Er verurteilte die rassistische Internethetze gegen den Nationalspieler als “widerwärtig” und forderte die Solidarität mit allen unseren Spielern.

Seit dem deutschen “Sommermärchen” 2006 wird in Deutschland eine Form des Patriotismus zugelassen und bis an die Debilitätsgrenze öffentlich gefördert: der deutsche Fußballnationalismus. Der Emotionalisierung wird mit allerlei schwarz-rot-gelben Narrenkostümen, Plastik-Firlefanz und reichlich Alkohol Vorschub geleistet, Public-Glotzing tut ein Übriges.

Unpolitisch war das von Anfang an nicht, sollten doch in unserem Land entstandene Parallelgesellschaften mit dem bunten Flitter und den Vuvuzelas zugedröhnt werden, ganz abgesehen von der Funktion der Fußballhelden als ge-ball-ten Beispielen für eine gelungene Integration.

Von Anfang an spielte dabei Mesut Özil als Aushängeschild und Bambi-für-Integration-Träger eine wichtige Rolle. Dumm nur, dass  seine (deutsch-)türkischen Landsleute gerade ihn als Vaterlandsverräter verunglimpften. Andere reden sich die Köpfe heiß darüber, warum er nicht seine kurdische Identität preisgebe (Mesut Özil Ben Kürdüm), zumindest zur Hälfte sei er doch einer, andere streiten das wutentbrannt ab. Und dann gibt’ s da irgendwo in den Untiefen des Netzes auch noch Leute, die finden, nur Ballkünstler mit deutschen Namen sollten spielen. Nur gegen letztere Hetzer hat Friedrich was: Er will sie überwachen lassen und zwar mittels Vorratsdatenspeicherung.

Damit befindet sich der Innenminister einmal mehr definitiv im Abseits und es ist davon auszugehen, dass er immer wieder bewusst gegen die Regeln verstößt.

Denn das Bundesverfassungsgericht hatte die Vorratsdatenspeicherung im März 2010 für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das Urteil verpflichtete deutsche Telekommunikationsanbieter zur sofortigen Löschung der bis dahin gesammelten Daten. U. a. hatte das BvG angeführt, die Vorratsdatenspeicherung verstoße gegen Artikel 10 des Grundgesetztes, der das Brief-, Post und Fernmeldegeheimnis garantiert.

Unsere Verfassung wird es sicher überleben, wenn türkisch-deutsche und deutsch-deutsche Diskutanten und Schmäher im Internet ein paar feuchte Flatulenzen ablassen. (Kleiner Tipp: Einfach das Getwittere und Getweete nicht lesen). Was unsere Verfassungs allerdings nicht verträgt, sind Unterminierer des Grundgesetzes und Ignoranten des höchsten deutsches Gerichtes à la Innenminister Friedrich.

Wie die Presse meldete, habe Friedrich die “Sieg, Sieg”-Rufe deutscher Zuschauer auch als “beschämend” bezeichnet und das ausgerechnet in der im Zweiten Weltkrieg von Deutschen besetzten Ukraine. “Auch dass einige wenige sogenannte Fans die verbotene Reichskriegsflagge gezeigt hätten, mache ihn wütend.  ‘Als deutscher Patriot schäme ich mich, wie diese Leute unser Ansehen in Europa und der Welt versuchen zu beschädigen’, betonte der Innenminister. Die überwältigende Mehrheit der Fußballfans habe damit nichts zu tun. Es dürfe nicht sein, dass diese verschwindend kleine Minderheit das Bild bestimme und Deutschlands Ansehen schade.

Wegen einer “verschwindend kleinen Minderheit” möchte Friedrich also Verfassungsbruch begehen?

Vielleicht sollte man den Herrn Minister einmal darüber aufklären, dass Fußball ein Spiel ist, bei dem es um Sieg oder Niederlage geht. Friedrich möchte jetzt also generell “Sieg”-Rufe ausmerzen oder nur in Ländern, wo einmal deutsche Soldaten standen, oder wie oder was?

Aber warum nur 60 Jahre zurückgehen? Wie wäre es mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), als sich “der frechen Völker Schar” in deutschen Landen bekriegte und mordete und brandschatzte, weswegen von 16 Millionen Deutschen anschließend nur noch 5–8 Millionen lebten.

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun

Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Kartaun,

Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.

(Andreas Gryphius).

Sollten wir mit diesen “frechen Völkern” heute wirklich noch Fußball spielen oder sie vielleicht doch alle meiden, vielleicht gar nicht erst antreten? Oder uns nur ein paar Länder rauspicken? Oder “Niederlage, Niederlage” rufen oder, oder was jetzt?

Ach ja und die Reichskriegsflagge.
Zur Verwendung der verschiedenen Versionen ohne Hakenkreuz meint der Verfassungsschutz:

„Die Führung der ‚Reichskriegsflagge‘ erfüllt weder einen Tatbestand des Strafgesetzbuches noch des Ordnungswidrigkeitengesetzes. Dennoch kann die ‚Reichskriegsflagge‘ nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht dann sichergestellt werden, wenn dies in konkreten Einzelfällen die erforderliche, geeignete und verhältnismäßige Maßnahme ist, um konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Das ist z. B. dann der Fall, wenn die Flagge Kristallisationspunkt einer konkret drohenden Gefahr ist und diese sich dadurch beheben lässt.

Die Einlassung entbehrt nicht ganz der Komik.

War diese Flagge bei der EM als so ein “Kristallisationspunkt einer konkreten Gefahr” oder hat Friedrich einfach nur ein wichtig-wichtig-Problem? Vielleicht kann es ja mit einem schwarz-rot-gelben Stöpsel behoben werden?

Schwarz-rot-gelber Stöpsel

— Anzeigen —


Tags: , , , ,

Eine Antwort hinterlassen