Pussy Riot – das Urteil zu zwei Jahren Straflager – ist für sich genommen, isoliert betrachtet, eine Überreaktion des russischen „Regimes“ gegen drei völlig harmlose, spontane Mädchen. Nunmehr seien die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, ja die Freiheit überhaupt in Russland mal wieder in Gefahr.
Die „Musikerinnen“ hatten die Ambo der Christ-Erlöser-Kirche in Moskau besprungen, den erhöhten Ort, von dem aus der orthodoxe Priester das Evangelium verkündet. Männer dürfen ihn ohne explizite Einladung nicht betreten, Frauen sind nur während der Eheschließung zugelassen.
Putin höchstselbst regte ein mildes Urteil für die drei BösewichterInnen an, nicht ohne jedoch spöttisch darauf hingewiesen zu haben, man möge sich einmal vorstellen, was mit den Mädels in ähnlicher Situation in Israel in einer Synagoge oder im Kaukasus in einer Moschee passiert wäre – die Sicherheitskräfte hätten gar nicht schnell genug herbeieilen können – verfehlte aber dann, wie von westlichen Medien erwartet, als Diktator zu handeln, indem er nicht in das Gerichtsverfahren eingriff.
Eine Welle an Solidaritätsbekundungen im Pussy-Riot-Stil sprießen wie Unkraut aus dem Boden:
Eine Nackte sägte in der Ukraine auf einem Platz in Kiew ein großes Holzkreuz mit dem Erlöser kurz über dem Boden mit einer Motorsäge ab und flüchtete dann.
Aktionen wie die der drei Punk-Schlampen werden weltweit geistlos-äffisch kopiert und als „revolutionärer“ Akt verkauft. Auch 121 deutsche Parlamentarier wollten da mittun und auch solidarisch sein.
Allerlei B-Promis und alternde Stars wie Nina Hagen oder die geistverwandte Madonna, nahmen Solidaritätshandlungen auf der Bühne vor und das gerne zum Anlass, ihrer sinkenden Popularität damit eine mediale Frischzellenkur zu verpassen. (Von Madonna ist seit Jahren bekannt, dass sie sich in Ermangelung musikalischer Ideen an religiösen Symbolen und Inhalten abarbeitet: Angefangen bei ihrem Namen bis hin zu ihrer Selbstkreuzigung an einem Neonkreuz bei ihrer letzten Tournee.)
Aus dem „Punkgebet“ mit Anrufung der Maria:
„Heilige Scheiße, Scheiße, Gottes Scheiße,
Heilige Scheiße, Scheiße, Gottes Scheiße,
Heilige Maria. Jungfrau, werde Feministin …
Patriarch Gudjajew glaubt an Putin,
Hundesohn, glaube lieber an Gott …“
(gesamte dt. Übersetzung hier)
Als ich von der Punk-Provokation im Februar in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale hörte, fiel mir sofort ein, dass es sich dabei um eine ganz besondere Kirche handelt: Sie wurde 1931 auf Befehl Stalins gesprengt und vollständig zerstört. An ihrer Stelle baute man ein riesiges Schwimmbad, ein Frevel sondergleichen. Aus der Geschichte ist bekannt, dass die Sowjetunion viele Kirchen systematisch zerstörte, Priester und Gläubige verfolgte und in den Gulags verschwinden ließ.
Ab 1990 wurde dann begonnen, mit kleinen Spenden von Millionen von Russen, die Kirche wiederzuerrichten, was trotz der Krise und dem Schock der Systemumstellung von Kommunismus auf den Raubtierkapitalismus der Chicagoer Schule gelang – die Kathedrale wurde im Jahr 2000 eingeweiht und ist der Stolz des ganzen Landes. Ihr kommt ähnliche Symbolkraft wie etwa der Dresdner Frauenkirche zu. Ähnlich wie bei Letzterer geht es nicht nur darum, ein Symbol des Glaubens wiederzuerrichten, sondern zu zeigen, dass totale Vernichtung und geistiger Tod letztlich doch nicht erfolgreich waren.
Die beiden Kirchen sind damit ein deutliches Zeichen gegen den Nihilismus. Diese Information ist zentral, um die russischen Empfindlichkeiten, was die Christ-Erlöser-Kirche anbelangt, verstehen zu können.
Hier ein sehr interessantes historisches Video, das die Zerstörung der Kirche 1931 dokumentiert:
Pussy Riot ist keine Musikgruppe im eigentlichen Sinne, Musik von ihnen gibt es praktisch keine, was man binnen Sekunden nachprüfen kann. Es ist eher eine locker zusammengewürfelter Haufen von jungen Frauen, die sich extrem anti-Putin, feministisch-lesbisch, nihilistisch und enthemmt-obszön gebärden. Pussy Riot trat just für den Wahlkampf gegen Wladimir Putin im Oktober letzten Jahres zusammen. Seither fielen sie mit schrillen Aktionen im Geiste von „Riot Grrrl“, einer 1990 in Washington gegründeten, feministischen Underground-Hardcore-Punk-Rock-Bewegung auf.
Typische Vertreterin dieser Richtung ist auch Courtney Love, bei der inszenierte Skandale, Drogen und obszöne Aktionen während Auftritten zum Markenzeichen gehören (Stichwort Beinespreizen, Fake-Fellatio während einer Fernsehshow etc.). Pussy Riots Originalität hält sich stilistisch demnach in (US-)Grenzen.
Stilistische und persönliche Überschneidungen der Pussy Riots gibt es ebenfalls zur Aktionsgruppe „Woina“ (Krieg). Diese machte durch allerlei Ekel-Aktionen in der russischen Öffentlichkeit von sich reden: z. B. öffentlichen Gruppensex in einem Naturkundemuseum (als slawisches Fruchtbarkeitsritual zur Rettung des Braunbären deklariert), an dem u. a. die schwangere Pussy Riot Nadeschda Tolokonnikowa teil nahm, die jetzt wegen des „Punk-Gebets“ verurteilt wurde.
Eine der T(P)ussys zeigte ihre Liebe für alles Vegetarische, indem sie in einem Supermarkt ein Huhn klaute und es in ihre Vagina einführte (ab Min. 4 Huhn wird das Huhn …). [Dieses Video wurde am 20.8.2012 gelöscht. Hier ist ein neues, worin einige Szene des oben verlinkten zusehen sind.]
Solche und ähnliche Aktionen in der Vergangenheit wären international ohne Widerhall geblieben, gäbe es für die Krawall-Pussys nicht prominente Betreuung, gezielte PR und professionelle Begleitung von Seiten bestimmter Gruppen, welche die Ekel- und Ballaballa-Aktionen zu einem heroischen Akt des Widerstandes gegen einen bösen Macho-Diktator namens Putin hochstilisieren und dabei unterschlagen, dass dieser Mann gerade erst demokratisch gewählt wurde und zwar mit Mehrheiten, von denen westliche Führer nur träumen können.
Eine Betreuerin und Beraterin der zornigen jungen Punks ist Oxana Tschelschewa (Oksana Chelysheva): Sie ist langjährige Mitarbeiterin des National Endowment for Democracy (NED), einer US-Stiftung und US-Geheimdienst-Fassade – wie in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen werden konnte. Schon 2007 wurde sie von der NED belobigt im Rahmen des Forums „Dissidents and the Fight for Freedom“ (Dissidenten und ihr Kampf für Freiheit).
Tschelschewa arbeitet außerdem für die Soros-Stiftung „Open Democracy“ und für den Langzeit-Putinhasser und Ex-Schachsportler Gari Kasparow.
Tschelschewa wird stets als „Menschenrechtsaktivistin“ tituliert, sie arbeitet aktuell für diverse NED-Ableger in Finnland, z. T. deswegen, weil die Behörden die NGO in Russland verboten. Dies sind u. a. das Finros-Forum (Finnish-Russian Civic Forum), welches eine Unterstützer-Kampagner für die Pussy Riots koordiniert, sie ist im Vorstand des EU-Russia Civil Society Forum und stellvertretende Direktorin der Russian-Chechen Friendship Society. Die pro-tschetschenische Freundschaftsgesellschaft wurde in Russland vom Obersten Gerichtshof 2006 wegen „Extremismus“ verboten und musste nach Helsinki ausweichen, daher verlagerte Tschelschewa gewisse Aktivitäten in dieses Land.
Die NED-Menschenrechtsaktivistin führt auch einen politischen Blog, wo sie ihrer Putin-Abscheu und ihrer Unterstützung für die Pussy Riots freien Lauf lässt. „Putin il ridicolo“, Putin der Lächerliche, ist ihr letzter Beitrag überschrieben, angefügt ist eine entsprechende Karikatur von Gianandrea Danino.
Oxana Tschelschewa kümmert sich jedoch noch um andere hoffnungsvolle Aufrührerinnen: z. B. um die Straßenkünstlerin Alexandra Katschko. Ein Artikel der St. Petersburg Times vom Dezember letzten Jahres, zeichnet ihre Geschichte nach:
Zunächst war sie, die heute unter dem Label ZOA ART arbeitet, sehr schüchtern und scheu und malte nur für die Schublade: „Ich hab es lange Zeit niemandem gezeigt, ich dachte nicht, dass es irgendjemanden interessieren würde.“ Und: „Ich war nicht sehr an Politik interessiert, ich hatte keine Freunde und keine Hobbys, ich wollte einfach nur etwas Interaktives machen, etwas, das mit der Stadt verbunden ist“, sagte sie. Doch dann wurde sie entdeckt …
Katschko ist ebenfalls eine Anhängerin der bereits erwähnten Gruppe „Woina“ geworden („Natürlich bewundere ich sie“) und erwähnte insbesondere die Aktion „Schwanz gefangen vom KGB“: Ein 65 Meter langer Penis, der auf die Liteinij-Brücke gemalt war, ganz in der Nähe des FSB (ehemals KGB) und die Palast-Revolution. „Und mir gefiel, wie sie Urin über die Polizisten kippten“ (während der Strategie-31-Kampagne im März), sagte sie gegenüber der St. Petersburger Times. „Ganz ehrlich, ich hab gar nicht verstanden, was in diesem Augenblick genau passierte, sie gossen Flüssigkeit aus einer Flasche, als die Polizei sie umzingelte und sie festnahmen, obwohl sie ein Kind hielten. Ich wurde fast mit ihnen geschnappt, aber ich bin weggelaufen.“
Dass die Verurteilung wegen des „Punk-Gebets“ im Grunde die falschen trifft, ist eine Sache. Dass sie aber eigentlich aus politischen Gründen erfolgte, ist eine andere: Wie Nadeschda Tolokonnikowa kommentierte: „Jeder, der den Inhalt unserer Laptops und Festplatten liest, wird klar erkennen, dass unsere Motivation rein politisch war.“
Daher ist die Annahme erlaubt, dass auch das zugehörige Urteil und überhaupt der ganze Prozess ein politisches Signal aussenden sollen: Eine Warnung an die Vielzahl ausländischer „unabhängiger“ NGOs, dass ihre Wühlarbeit jetzt stärker beobachtet und ggfs. verfolgt wird – ähnlich wie seinerzeit der Prozess gegen Chodorkowski ein Signal an die Oligarchen und das Ausland war.
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Tags: Christ-Erlöser-Kirche, Gari Kasparow, Nadeschda Tolokonnikowa, NAtional Endowment for Democracy, Pussy Riots, Putin.Oksana Chelysheva
Ein erhellender Artikel. Gratulation. Der sollte möglichst oft verbreitet werden.
Was mich stört, ist die Ignoranz gegen Meinungsverbrechen in der BRD. Auch hier ist das Gedankenverbrechen an der Tagesordnung und wird mit vielen jahren Gefängnis bestraft. Ein Horst Mahler sitzt beispielsweise über 12 jahre ab – und das im hohen Alter! Er hat lediglich einigen Dognen der BRD widersprochen. Ein Axel Möller sitzt ebenfalls. Für Kommentare auf einer Internetseite. Und diese Fälle sind zahlreich, wenn die namen der “Verbrecher” auch unbekannt bleiben.
Wir brauch also eh keinen Blick nach Russland, China… Die Gesinnungsdiktatur ist längst hier angekommen!
M. E. kommt der false flag-Aspekt nicht genug heraus: http://antikrieg.com/aktuell/2012_08_20_pussyriot.htm
Der Artikel ist wie fast alles hier hochklassig. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass diese Krawallpussys nachdem sie von der Bildfläche verschwunden sind, im “nirgendwo” steckenbleiben. Wenn die nämlich aus der Haft entlassen werden, dann kräht kein Hahn mehr nach denen.
Und der ehemalige Schachweltmeister, Möchtegernpräsident und Putinhasser versucht ja seit längerer Zeit, so wie einige andere frühere Promis, seine nur noch schwach vorhandene Popularität mit Demo-Aktionen aufzupolieren. Die Frage ist hier jedoch: Hat er nun (was ich für wahrscheinlich halte) einen Polizisten in die Hand gebissen und wurde deshalb verprügelt oder hat er nicht und wurde trotzdem verprügelt weil er aktiv einer Demo für die Pusssys dabei war.
Wie auch immer, verdient hat er die Prügel alleweil. So wie sie jeder verdient, der durch Aktionen wie hier im Artikel beschrieben, teilnimmt.
Alles hat einen Preis. Siehe auch
http://netzrosinen.ch/?p=2494
Die Aktionen haben sich für die Pussy Riots in jedem Fall gelohnt: Monatelange kostenlose PR weltweit — welche Punk-Gruppe könnte sowas aus eigener Tasche bezahlen? Auch nach der Haftentlassung u. Begnadigung wird der Pussy-Stern nicht sinken: Dafür sorgen schon unsere Qualitätsmedien.
Eben die typischen “double standards” u. Heuchelei der westlichen Welt.
@ Friederike Beck
“Die Aktionen haben sich für die Pussy Riots in jedem Fall gelohnt”
Sehe ich auch so. Ein deutscher Commedian twitterte nach dem Urteil:
“Für diese mediale Aufmerksamkeit wären andere gern 10 Jahre in den Knast gegangen.”
Und das ist doch genau, worauf es ankommt: Aufmerksamkeits-Steuerung ist ein zentraler Mechanismus der Propaganda.
Wenn die Vaginas in 1 1/2 Jahren (oder gemäß Tom Bartels Link in sechs Monaten) raus kommen, gelten sie weltweit als Ikonen der “Freiheit”. Die kriegen dann überall Auftritte, Preise, Verträge, Sponsoring, Auszeichnungen…
Die Zerstörung der Kathedrale ist ein Kapitel der Geschichte, über das man wohl ein ganzes Buch schrieben könnte. Kaganovich, ausführende Kraft Stalins bei der Zerstörung war auch massgeblich an der Ausbootung Kirovs als Nachfolger von Lenin beteiligt.
Ein sehr erhellender Artikel mit mir bisher noch unbekannten Hintergrundinformationen, danke für dieses.
Das medial ausgeschlachtete sowie teilweise auch politisch instrumentalisierte Gezetere um die Pussy Riots (kurz: PR) offenbart seine unerwähnte doppelmoralische Verlogenheit hierzulande, wenn man sich einfach mal die Paragraphen 166 bzw. 167 des StGBs durchliest.
[...] ausführlicher ist Friederike Beck bei Zeitgeist Online. Dort erfährt man auch mehr über eine Frau im Hintergrund des Muschiaufstandes. Sie heisst [...]
also wegen diesem ekeligen nackt auftritt,das hat mit kunst nichts mehr zu tun,also ich finde die sitzen zu recht!leute die gar kein schamgefühl haben wie diese …..gehören zurecht hinter gittern.in einem supermarkt vor kindern?das ist echt widerlich.dafür würde man auch hier vor gericht kommen!ich finde 2jahre sind für die zu wenig und das wird hier als ne fortschritliche bewegung verkauft ich lach mich schlapp.so einen pseudo fortschritt können die ruhig behalten!da weiss ich auch,warum die russen putin wählen und das merheitlich,da muss ich mir nur dieses video ansehen und ich kriege kopfschmerzen.also ich finde da ist putin die bessere alternative!
[...] Solidaritätswelle im Ausland finden sich – in chronologischer Reihenfolge – hier und hier und hier.) Sharen mit:TwitterFacebookGefällt mir:Gefällt mirSei der Erste dem dies [...]
Ich habe Ihren lesenswerten Artikel in meinem Sprachblog verlinkt, in dem ich mich mit der Frage nach der Bedeutung des Namens der Band beschäftige:
http://textundsinn.wordpress.com/2012/09/16/den-prozess-gegen-mitglieder-der-band-muschi-krawall-habe-ich-mit-besorgnis-verfolgt/
Eben habe ich in einem Kommentar in einem anderen Blog gelesen:
“Außerdem wurde bekannt, dass die Aktionsgruppe [Voina, aus denen PR hervorging] anlässlich des Tages der Arbeit am ersten Mai in eine McDonalds-Filiale stürmte. Ausgerüstet waren sie mit lebendigen Katzen, die sie über den Tresen hinweg auf das Verkaufspersonal und gegen die Wände schleuderten.”
http://medien-luegen.blogspot.de/2012/09/pussy-riot-und-nawalny-wer-die-helden.h...
Dazu ist ein englischer Artikel in Al Jazeera verlinkt. Über die Glaubwürdigkeit der Quelle kann ich nichts sagen, aber wenn das stimmte, wäre der “missing link” zum Namen gefunden. Von wegen süße Kätzchen! Das ist pervers!
Ich habe vor Kurzem Video über Pussy Riot erstellt, in 3 verschiedenen Versionen. Da werden zusätzliche Informationen über Pussy Riot dargestellt.
Pussy Riot – Sex, Rock & Anarchismus
http://www.youtube.com/watch?v=eAOfhPx9P4U
Putin über Pussy Riot
http://www.youtube.com/watch?v=oUJ9YrNB_jM
Etwas oder alles über Pussy Riot
http://www.youtube.com/watch?v=jMEZeWB1sKs
Und Pussy Riot in Kölner Dom
http://www.youtube.com/watch?v=u-WR1l-HOJw
super!
[...] Können die Pussy Riots Putin stürzen? Ein etwas größeres Bild der Affaire. [...]