Russland-Sanktionen: Deutschlands willige Vollstrecker in der Wirtschaft

Dysfunktional: Ostausschuss der deutschen Wirtschaft

Unter „Über uns“ erklärt der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft seine Daseinsberechtigung so:

Er „repräsentiert die Interessen der deutschen Wirtschaft“ seit 1952 in heute 21 Ländern des (süd)östlichen Europas, darunter auch Russland. Der Ostausschuss versteht sich als Brücke: „Mit den Instrumenten der Wirtschaftsdiplomatie richtet er in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung Gesprächsrunden zwischen osteuropäischen Regierungsmitgliedern und deutschen Unternehmen aus“. Er organisiert an große Anzahl einschlägiger Veranstaltungen und vernetzte jung Fachleute aus den beteiligten Ländern. U. a. führt er auch die Deutsch-Russischen Gespräche Baden-Baden durch.

Zu den Zielen des Ostausschusses gehören u. a. die „ die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit den betreuten Ländern“, „Verbesserung der Handels- und Investitionsbedingungen für deutsche Unternehmen“. Der Ausschuss bietet zudem sein „Netz an Kontakten zu Regierungsstellen und Wirtschaftsvertretungen“.

Er kann die crème de la crème der deutsche Wirtschaft zu seinen Mitgliedern zählen: U. a. sind die fünf Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft (Bundesverband der Deutschen Industrie, Bankenverband, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels und Zentralverband des Deutschen Handwerks) Träger der Vereinigung. Darüber hinaus gehören aktuell „über 200 Mitgliedsunternehmen“ dazu „vom Mittelständler bis zum DAX-Unternehmen (Stand: Juli 2014)

Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft wäre mit seinen jahrelang gefestigten, guten Kontakten nach Osten dazu prädestiniert gewesen, im aktuellen Ukraine-Konflikt als ehrlicher Makler und Vermittler zwischen den Konfliktparteien aufzutreten. Leider war davon rein gar nichts zu spüren – ein totales Versagen, wo ein „Netz von Kontakten“ hätte auffangen können und sollen.

Die vor dem Hintergrund der selbstgesteckten Aufgaben des Ostausschusses geradezu surrealistisch anmutende Erklärung seines Vorsitzenden Eckhard Cordes tritt die eigenen Prinzipien mit Füßen und verrät vor allem die eigentliche Daseinsberechtigung des Ostausschusses: Die Interessen der deutschen Wirtschaft.

In Eckhard Cordes „Aktuellem Statement zu den Sanktionen gegenüber Russland“ heißt es u. a.:

Der Konflikt in der Ostukraine hat sich bereits vor der Einführung von Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland zu einer dauerhaften Belastung für die wirtschaftlichen Perspektiven im östlichen Europa entwickelt.“

Schon im ersten Satz: Es gibt also tatsächlich nur einen auf den Osten der Ukraine begrenzten Konflikt? Herr Cordes muss nicht ganz auf der Höhe der erreichbaren Nachrichten leben!

„Diese negative Entwicklung wird durch die aktuellen Handelszahlen bestätigt, die der Ost-Ausschuss für den Zeitraum Januar bis Mai 2014 berechnet hat. Demnach gingen die deutschen Exporte in die Ukraine in den ersten fünf Monaten 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 32 Prozent zurück. Der deutschen Wirtschaft ging hier im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Exportvolumen von über 700 Millionen Euro verloren. Wirtschaftlich noch gravierender ist der Rückgang der Exporte nach Russland um 15 Prozent oder umgerechnet 2,2 Milliarden Euro im selben Zeitraum.“

Das ist schon schlimm genug! Bietet Cordes einen Lösungsansatz? Zeigt er irgendeinen Vermittlungsweg auf, eine Botschaft? Nein! Es ist zwar schlimm für die deutsche Wirtschaft, aber das ist ja nun kein Grund, warum es nicht noch schlimmer werden kann!

Cordes prophezeit: „Die jetzt beschlossenen Wirtschaftssanktionen werden den negativen Trend in Russland, aber auch in der Ukraine noch weiter verschärfen. Gerade die Ausfuhrbeschränkungen im Hochtechnologiebereich werden den modernisierungsbedürftigen Industriesektor in Russland empfindlich treffen. Im Gegenzug drohen der europäischen und vor allem deutschen Exportindustrie weitere Einbußen, über 25.000 Arbeitsplätze sind allein in Deutschland in Gefahr.

Das Nachfolgende ist dann Originalton Washington – Cordes vertritt entschlossen den transatlantischen Klassenstandpunkt: „Die Sanktionen der Europäischen Union müssen von der russischen Seite als ein deutliches Signal dafür gesehen werden, ihre Einflussmöglichkeiten auf die Separatisten entschlossen zu nutzen, um die Befriedung des Konflikts in der Ostukraine und eine umfassende Aufklärung des Flugzeugabsturzes zu ermöglichen.”

Unglaublich: Ein Ost-„Fachmann“ richtet nicht ein Wort an Kiew, dabei wachsen die Taten der dortigen Putschregierung zu einem Gebirge der Schande, dass niemand übersehen kann, außer man will. Stichwort Maidan-Terror, Beschießung ostukrainischer Städte, Vertreibung der dortigen Bevölkerung, kollektive Bestrafungen der Ostukraine, kein Strom kein Wasser etc. Ganz zu schweigen von den ungeklärten Vorgängen um Flug MH17

„Alle Seiten müssen nun an den Verhandlungstisch, am besten im Form einer Kontaktgruppe, zurückkehren.“

Für Verhandlungsvorschläge ist es jedoch nun zu spät, Herr Cordes, sie haben dieses Möglichkeit ob ihrer Parteilichkeit nur zu willig aus der Hand gegeben, ihr Schwert ist nunmehr stumpf und ihre Rede uninteressant geworden.

„Die zeitliche Begrenzung der Sanktionen und eine regelmäßige Überprüfung seitens der EU sind als wichtiges Signal zu deuten, dass die Dialogbereitschaft auf der europäischen Seite weiterhin aufrechterhalten werden soll und eine Lösung des Konflikts auf diplomatischen Wege gefunden werden muss. Anderenfalls wären eine dauerhafte Verunsicherung von Investoren, eine zunehmende Isolierung und Abkehr Russlands vom Westen und eine Schädigung der konjunkturellen Entwicklung in ganz Europa zu befürchten. Der Ost-Ausschuss wird weiterhin seine Gesprächskanäle zu der russischen und ukrainischen Politik und Wirtschaft aufrecht erhalten.“

Corde scheint nicht zu merken, wie oberlehrerhaft und arrogant die angekündigten “regelmäßigen Überprüfungen” wirken, mit denen zu Gerichte gesessen werden soll.  Zur Erinnerung: es handelt sich um den größten Flächenstaat der Erde, von dem Europa ein Gutteil seines Erdöls und Erdgases bezieht, und zu dem jahrelang in vielen kleinen Schritten Beziehungen aufgebaut wurden. Eine Schädigung der konjunkturellen Entwicklung ist doch längst eingetreten, wo war Cordes am Anfang der Krise, wo seine Weitsicht? Wo das diplomatische Geschick und die Netzwerke des Ostausschusses?

Im Januar dieses Jahres hörte sich Cordes noch ganz anders an, da mahnte er an, Russland als Faktor in der Ukraine einzubinden und kritisierte die EU:

‘Rückblickend war es nicht besonders klug, wie die Gespräche zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gelaufen sind’, kritisierte Eckhard Cordes, Chef des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, auf die Frage von EurActiv.de: ‘Zu einer Lösung kommt man nur unter Einbeziehung aller drei Regionen – Ukraine, Russland und EU – und nicht nach dem Motto: Entweder geht ihr dahin oder dorthhin. Das ist undenkbar und wird nicht funktionieren!”

“Die deutsche Regierung müsse in der verfahrenen Situation zwischen Ukraine, Russland und der EU ‘selbstverständlich’ eine aktive, koordinierende Vermittlerrolle übernehmen, fordert der Ost-Ausschuss. Es sei ein schwerer Fehler der EU gewesen, die Ukraine zum Entweder-Oder zu drängen. ‘So kann es nicht gehen. Wir müssen endlich in trilaterale Gespräche eintreten.’”

Und: “Wir müssen stärker mit Russland und der Zollunion über eine gemeinsame Wirtschaftsarchitektur sprechen…Die Spaltung Europas in verschiedene Wirtschaftszonen ist nicht zeitgemäß’, betonte Cordes. ‘Wenn Europa in den nächsten zwanzig Jahren eine Rolle spielen will, müssen wir solche Kleinkariertheiten überwinden. Wir brauchen einen Europaraum, der verschmolzen ist und eng zusammenarbeitet – auch mit Russland.’”

Es ist schon atemberaubend, wie Cordes nach diesen selbstkritischen Worten, die jeder vernunftbegabte Mensch eigentlich nur unterscheiben kann, ein halbes Jahr später sang- und klanglos implodiert und zum Nachbeter von Sanktionsparolen wird, deren Begründung keiner sachgemäßen Prüfung standhalten. Zumal auch ihm nicht entgangen sein dürfte, dass ein Mitglied des Deutschen Ethikrates, Reinhard Merkel, in der FAZ den Anschuss der Krim an die Russische Föderation und die stattgehabte Volksabstimmung durchaus als mit dem Völkerrecht vereinbar ansieht.

Cordes nüchternen Einschätzung Anfang des Jahres schlägt in völlig irrationale mainstreamduselige Losungen um: „Cordes betonte, dass sich die Lage durch den Abschuss der Passagiermaschine über der Ostukraine mit fast 300 Toten geändert habe. Der Umgang mit der Katastrophe stelle einen ‘Akt der Inhumanität’dar, kritisierte er: ‘Wir sehen verstörende Verhaltensweisen, wenn die Separatisten Leichen fleddern. Von russischer Seite hören wir abenteuerliche Theorien, etwa dass in dem Flugzeug Tote gesessen hätten“‘. (s. Handelsblatt v. 24.7.14).

Was Cordes hier betreibt, ist nicht mehr das wohlüberlegte Reden und Handeln eines die Contenance bewahrenden Wirtschaftsdiplomaten, sondern klassische Greuelpropaganda gegen einen wichtigen Handelspartner Deutschlands. Jeder interessierte Zeitgenosse, der sich zeitnah mit den Vorgängen nach dem Absturz der malaysischen Passagiermaschine beschäftigt hat, weiß, dass dies so ist.

Was ist also los? Ist Cordes ein bisschen, sagen wir, blöd? Oder uninformiert? Ist er eingetrübt durch den Schock ob des furchtbaren Unglücks? Wohl eher nicht.

Interessant:  Cordes sitzt auch in Kontrollgremien verschiedener Unternehmen, darunter Rheinmetall. Auch hier konnte Cordes keinerlei Einfluss geltend machen, etwa mit dem guten Grundsatz unter Geschäftspartnern, dass man nicht vertragsbrüchig wird, speziell dann nicht, wenn die Winterzeit vor der Türe steht…

Minister Gabriel zeigte die neue Linie auf: Auf Deutschland ist kein Verlass mehr. Bereits bezahlte und genehmigte Verträge müssen nicht eingehalten werden: Denn „es geht um Menschenleben“.

Deswegen liftete die EU ja vor wenigen Tagen auch ihr Waffenembargo gegenüber Kiew.  Auch hier geht’s um Menschenleben, die jetzt besser in Gefahr gebracht werden können.

Rheinmetall konnte sich noch nicht einmal ermannen, auf seiner Netzpräsenz den ungeheuerlichen Vorgang des Vertragsbruchs zu kommentieren.

Cordes ist Insider und besuchte z. B. 2010 da World Economic Forum in Davos und die Tagung der Trilateralen Kommission. Letztere sorgt sich um eine verbesserte Kooperation der drei Wirtschaftsgroßmächte Nordamerika, Europa und Japan. Vermutlich Dank ihrer „segensreichen“ Aktivität, machte auch Nippon den Kotau: Ein willenloses Japan schloss sich unversehens den aktuellen Sanktionen an.

Atlantik-Brücke-Mitglied Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverband der Deutschen Industrie (seit 2013)  mochte auch nicht zurückstehen oder gar die Interessen der Mitglieder seines Verbandes vertreten, sondern stimmte ebenfalls in den immer lautstarker werden Chor ein: In einem Deutschlandfunktinterview vom 14.3.2014 äußerte Grillo sich unfassbar dämlich:

„Heinemann: Herr Grillo, rechnen Sie mit einem Wirtschaftskrieg?

Grillo: Wirtschaftssanktionen sind Sache der Politik

Grillo: Herr Heinemann, das Wort ‚Krieg‘ sollten wir eigentlich vermeiden. Vielleicht reden wir über ‘Wirtschaftssanktionen’. Natürlich haben wir erhebliche Wirtschaftsbeziehungen, fast 80 Milliarden mit Russland, fast 80 Milliarden Euro. Wirtschaftssanktionen würden beide Seiten empfindlich stören. Auf der anderen Seite gibt es das Völkerrecht und das Völkerrecht ist nicht verhandelbar. Das steht über allem. Insofern muss man das sorgfältig abwägen. Die Wirtschaft selbst sollte aber meines Erachtens nicht öffentlich über Wirtschaftssanktionen, über Maßnahmen diskutieren. Das ist eine Frage der Politik, und da vertraue ich vollständig der Bundeskanzlerin und unserem Außenminister.“

Amen.

Auch hier: Grillo brabbelt über Völkerrecht, das über allem stehe, dabei weiß die Weltöffentlichkeit (siehe Irak, Libyen, Syrien, Gaza uvm.), dass dies nur in der Theorie so ist. (Oder hörte jemand Sanktionsforderungen gegen die USA wegen ihres völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen den Irak 2003, oder gegen die beteiligten NATO-Staaten beim 11-monatigen völkerrechtswidrigen Bombardement Libyens, oder gegen den Zion-Staat wegen seines alle Jahre wieder durchgeführten Schacht-Festes in Gaza?)

Mit dem Blankoscheck „vollständiges Vertrauen“ begibt sich Grillo ganz bewusst jeder Chance auf Einflussnahme auf die deutsche Politik.

Es lief immer nach dem gleichen Schema: Einerseits warnten hohe deutsche Wirtschaftsvertreter pflichtschuldigst vor den Folgen der Sanktionen – andererseits kündigten sie in vorauseilenden Gehorsam an, diese natürlich mittragen zu wollen.

Weiteres Beispiel: Der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Jürgen Fitschen:…„es wäre grundfalsch nun alles aufzugeben, was die deutsche Wirtschaft in jahrelanger Zusammenarbeit in Russland aufgebaut habe“, sagte der Co-Chef der Deutschen Bank. Beide Manager [Fitschen und Grillo] sagten aber, wenn die Bundesregierung Sanktionen beschließe, würden die deutschen Unternehmen diese auch mittragen.

Dieses rhetorische Schema bei einer Vielzahl hoher deutscher Wirtschaftsvertreter lässt nur einen Schluss zu: Sie vertreten eben keine deutschen Interessen bzw. die Interessen der Mitglieder ihrer Verbände und damit tausender von Arbeitsplätzen, sondern sie sind, above all, Transatlantiker mit ergebenem Blick nach Washington und Brüssel.

Herren dieser Machart sind willige Vollstrecker, nicht mehr und nicht weniger und damit Fehlbesetzungen.

Wie heißt es doch so schön bei George Orwell: „Die von den Schweinen ausgegebene Parole ‘Vierbeiner gut, Zweibeiner schlecht’ begeistert besonders die Schafe: Sie blöken sie im Chor und übertönen damit jegliche Kritik.“ Um letzteres geht es auch und gerade, sollte man meinen, das alles übertönende, anschwellende Sanktionsgeblöke im Ohr.

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2 Antworten zu “Russland-Sanktionen: Deutschlands willige Vollstrecker in der Wirtschaft”

  1. navy sagt:

    Der Ost Ausschuss der Wirtschaft in mit anderen Wirtschafts Foren mit Rainer Linder, Gernot Erler, Günter Verheugen ebenso in der Ukarine aktiv.

    Als Bestechungs Motor mit Gangstern auch vor 15 Jahren schon gut bekannt

  2. Christopher sagt:

    Herr Cordes scheint in der Hierarchie nicht sehr weit oben zu stehen oder jemand hat versäumt ihn rechtzeitig über die Marschrichtung zu unterrichten. Die Mechanismen sind dem interessierten Zeitzeugen ja nicht unbekannt, die dreiste Verlogenheit, mit der die Mächte zunehmend, spätestens seit 2001, auftreten und auf Medienvorherrschaft setzen, erscheint jedoch neu. Köstlich komplimentierend Uri Gellermann’s
    http://www.kritisches-netzwerk.de/content/steinmeier-versteht-die-saudis-deutsche-panzer-bald-im-jemen

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