Die außenpolitisch richtungsgebende US-Denkfabrik “Council on Foreign Relations” (CFR) beschäftigte sich schon vor einigen Monaten mit den Folgen härterer Russland-Sanktionen auf die globale Wirtschaft, Sanktionen die sich seit Juli 2014 nunmehr tatsächlich gegen die russische Energie-, Finanz- und Rüstungsindustrie richten.
Ein CFR-Artikel vom 4.5.2014, Titel: “Global Ecomomics Monthly: May 2014. Russia Contagion: Local or Global” von Robert Kahn (Steven A. Tananbaum Senior Fellow for International Economics) diskutiert die Annahme, dass ausgeweitete Sanktionen gegen Russland vergleichsweise wenig Auswirkungen auf die restliche Welt hätten.
Interessanterweise wurde dies von “Goldman Sachs Research” behauptet; demnach sei Russland einfach nicht wichtig genug für den Weltmarkt trotz seiner bedeutenden Energieexporte. Es sei nur begrenzt in die weltweiten Produktionsketten und internationale Märkte integriert. Kahn zitiert Goldman Sachs’ Fazit: “Auswirkungen auf die Weltwirtschaft aufgrund der aktuellen Spannungen könnten relativ klein sein.” Mit anderen Worten ermuntert Goldman Sachs mit dieser Einschätzung geradezu zu Sanktionen.
Der CFR-Autor bezweifelt diese lockere Expertise. So seien bisher noch nie Sanktionen gegen ein derart großes und komplexes Land verhängt worden, Einschätzungen daher sehr kompliziert. Für die Debatte über die Frage der Krisenansteckungsmöglichkeit sei wichtig, dass der russische Markt eben gerade zu verwoben mit der Welt sei, als dass man ihn ignorieren könne.
Intensivierte Sanktionen könnten in Russland zu einem plötzlichen Stopp des Kapitalflusses führen, also einer Art herzinfarktähnlichem Geschehen.
Die Sanktionen sollen für Russland “ein Schock” sein, für den Rest der Welt aber kaum fühlbar?
Kahn bezweifelt das. Er rechnet damit, dass Schockwellen auch im Westen ankommen werden durch die wirtschaftlichen und finanziellen Kanäle, über die Russland mit dem Westen verbunden ist. Der Autor spricht von einem Potenzial zu “outsized spillovers”, also einem “überaus großen Übertragungseffekten” der sanktionsinduzierten Probleme, wie z. B. Rezessionsgefahr.
Im Zentrum russischer Exporte stehen Rohstoffe – Energie, Bodenschätze, Metalle. Wenn die Finanzierung des Handels mit Bodenschätzen gestört werde, könne er blockiert werden und weltweit Unterbrechungen in der Produktion rohstoffintensiver Güter bewirken.
Die Diskussion war bisher auf den Energiesektor fokussiert, wo bei einem Stopp der Gasexporte als Reaktion Russlands auf die Sanktionen mögliche Preissteigerungen von 20-40% vorhergesehen werden. Kahn hofft jedoch, dass Russlands Abhängigkeit von Einkommen aus Öl- und Gasexporten seine Rache in eine andere Sanktionsrichtung lenken werde.
Die höchsten Kosten der Sanktionen sieht er auf dem Finanzsektor: Russlands Finanzverbindungen mit dem Westen seien nicht durchschaubar und in hohem Maße kreditgestützt. Sanktionen und Vergeltungsmaßnahmen könnten russischen und ausländischen Investoren hohe finanzielle Verluste zufügen, die Sicherheiten für Treasury-Anleihen steigen, so Kahn.
Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor “könnten dramatische Folgen nicht nur auf russische Finanzinstitute haben, sondern auch auf die Märkte, in denen sie operieren. Zum Beispiel halten russische Banken bedeutende Derivate und Sanktionen gegen sie können Liquidität und Vertrauen in den Markt beschädigen”.
Ein akutes Wiederaufflammen der 2008-Krise erscheint danach in Reichweite!
Für Kahn sind die potenziellen finanziellen Rupturen unwägbar: Russland ist mit 700 Mrd. Dollar im Ausland verschuldet (= 34 % des Bruttosozialprodukts), die Kreditnehmer sind zum Großteil staatliche Betriebe. “Jedwede Unterbrechung im Zahlungssystem könnte einen Domino-Effekt haben.”
Kahn veranschaulicht das Problem mit dem Bild einer Weihnachtsbaumlichterkette: Wenn eine elektrische Kerze nicht funktioniert, funktioniert die ganze Kette nicht, und es ist extrem schwierig herauszufinden, welches Kerzchen den Kurzschluss auslöste. Analog dazu, “wenn irgendeine US-Firma in eine Transaktion eines Glieds der Kette verwickelt ist, so schlägt potentiell die ganze Transaktion fehl. Die Vernetzung ist das Hauptproblem, das wir bei Sanktionen haben angesichts der heutigen komplexen Finanzmärkte.”
Kahn hält diejenigen für zu optimistisch, welche die Folgen verschärfter Sanktionen nur regional sehen wollen: “Am Ende ist es ein globaler Markt und Russland davon abzuschneiden, wird bedeutsame Auswirkungen auf alle Beteiligten haben.”
Bis dahin kann ein Leser nur für sich die Schlussfolgerung ziehen, dass verschärfte, sektorale Sanktionen ein verantwortungsloses Vabanque-Spiel wäre, welches kein Politiker mit Blick auf seinen Amtseid spielen würde.
Umso mehr erstaunt Kahns abschließendes Fazit, die Kosten müssten abgewogen werden, Handeln gegen Nicht-Handeln, und dass er sich impliziert für Sanktionen ausspricht, denn – Russland habe die bestehende internationale Ordnung herausgefordert.
In politischen Kreisen ist man sich also voll bewusst, dass man mit den seit dem 29. Juli 2014 von den USA gegen Russland initiierten “sektorale Sanktionen” u. U. ein Krisengeschehen weltweiten Ausmaßes lostritt.
Die Blockierung der Guthaben russischer Banken (Hier die offizielle Liste der von den Sanktionen betroffenen russischen Banken) erfolgt gemäß dem “International Emergency Economic Powers Act” aus 1977, der den US-Präsidenten beim Vorliegen einer “Bedrohung” zu Sanktionen autorisiert. Ein Gesetz aus Zeiten des Kalten Krieges also!
Die EU (28 Mitglieder) arbeitete wenig später brav die US-Forderungsliste ab: Sberbank, VTB Bank, Vnesheconombank (VEB), Gazprombank und zusätzlich die Russian Agriculture Bank (Rosselkhozbank) haben nunmehr keinen Zugang zum EU-Kapitalmarkt mehr. (Weiterhin beschloss die EU-Kommission ein Embargo für Waffenexporte, für “dual-use”-Güter und Ölförderungstechnologie).
Erste vorhersehbare und offensichtlich einkalkulierte Folgen sind bereits eingetreten: Einbruch an den Börsen: “An den Finanzmärkten macht sich Unruhe breit”.
Die nebenstehende Graphik des Internationalen Währungsfonds zeigt, welche Risiken die Russland-Sanktionen bergen: Man beachte z. B. die Verwobenheit des wirtschaftliche ohnehin angeschlagenen Frankreichs mit dem russischen Bankenmarkt und die deutsche Export-“Zacke”.
Die Sanktionen haben daher das Potenzial, eine Finanz- und Wirtschaftkrise à la 2008 und schlimmer auszulösen.
Und der Grund ist einfach: Russland ist zu mächtig für den Geschmack der “einzigen Weltmacht” geworden. Die alte „balance of power“ der Briten ist wiedererstanden in den „Regeln der internationalen Ordnung“, die Russland durch seine in den letzten Jahren genommene Entwicklung infragestellte.
Die zerstörerische Saat dieser Maßnahmen beginnt bereits aufzugehen: Im deutschen Anlagen- und Maschinenbau sind rund eine Million Menschen beschäftigt; die Bestellungen sanken bis Mai 2014 auf dem viertwichtigsten russischen Markt um 19,5 % infolge der “geopolitischen Spannungen”, wie es Siemens-Chef Joe Kaeser ziemlich korrekt ausdrückte.
Wie verbunden in Zeiten der Globalisierung alles ist, zeigt sich daran, dass die Sanktionen sich nicht nur auf Russland auswirken, sondern “generell die Nachfrage in wichtigen Absatzmärkten unserer Industrie“ behindere und auf die Stimmung drücke, so Ralph Wiechers, Chefvolkswirt des Branchenverbandes VDMA (vgl. GA Bonn 1.8.14).
Fazit: Die Sanktionen richten sich in erster Linie gegen Russland, in zweiter aber gegen Europoa, allen voran Deutschland. Alle EU-Staaten, die sie mittragen, machen sich (mindestens der Vorbereitung) des Hochverrates schuldig. Denn es ist ausgeschlossen, dass die dem CFR eng verbundene DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) und andere der deutschen Politik verbundene Denktanks den Text Richard Kahns nicht kennen.
Für ihre “Regeln” ihrer “internationalen Ordnung” entfachen sie einen Wirtschafts- und Finanzkrieg, der die Welt ins Unglück stürzen wird und geeignet ist, den Bestand Deutschlands und Europas zu gefährden.
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Tags: CFR DGAP, Finanzmärkte in Unruhee, Goldman Sachs, Joe Kaeser, Richard Kahn, Russland, Sanktionen
Russland wird bestraft, aber wir (Europa) bestrafen uns selbst damit auch. Die Frage muss aber lauten, welche Mittel wir sonst zur Verfügung haben, um ein Zeichen zu setzen?
Russland ist einfach in die Krim einmarschiert und *peng*, die Krim ist jetzt Russisch. :d
Maschiert morgen “Luxenburg” in Belgien ein, wird dann daraus auch Luxenburg? Einfach so? Das kann nicht sein und Europa ist stark genug um ein Zeichen zu setzen…und wenn es nur Wirtschaftssanktionen sind!