Die Kirche scheint wie aus Raum und Zeit herausgefallen, eine Insel von Bäumen gesäumt. Ringsherum nichts als Plattenbauten. Die russisch-orthodoxe Kirche des Heiligen Simeon vom Wunderbaren Berge zu Dresden steht einsam und liebreizend mit ihren fünf himmelblauen, glänzenden Kuppeln, die Christus und die vier Evangelisten symbolisieren, die Zwiebelkuppeln von Goldkreuzen gekrönt, die auf einer goldenen Mondsichel zu ruhen scheinen und von vier Goldketten gehalten.
Die rundlichen Türme wiederholen sich in den tropfenartigen Ziergiebeln, den Kokoschniki. Ich betrete die Kirche: Ein angenehmes Dunkel bringt das Gold der lebensgroßen Ikonen, die den Kirchenraum vom Allerheiligsten trennen, zum Leuchten. Ich ziehe die warme Luft der Bienenwachskerzen ein. Der Heilige Michael hat es mir besonders angetan: Mit mächtigen dunklen Schwingen und einem Schwert fest in der rechten Hand steht er da wie ein Versprechen: Einzugreifen – im entscheidenden Moment gegen den Drachen der Lüge, der Verwirrung, des Chaos. Ich fühle mich er-baut.
Die Ikonen malte der Engländer James Marshall in der 1872 von dem deutschen Architekten v. Bosse geschaffenen Kirche, der auch die deutsche Kirche in St. Petersburg erbaute. Rachmaninow, Turgenjew, Bakunin besuchten sie, Dostojewksi ließ seine Tochter hier taufen.
Im Feuersturm des Februar 1945 verwandelte sich die Umgebung der Kirche in eine Trümmerwüste, einzig die Kirche überlebte die Apokalypse, zusammen mit 200 Menschen, die sich dorthin geflüchtet hatten. Ein wahrhaft besonderer Ort!